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Festival in Berlin: 17 Jahre »Schöner leben ohne Nazis«
Traditionsreiches Festival wirbt für Toleranz in Marzahn-Hellersdorf
Am Abend, als sich das Fest schon dem Ende zuneigt, kreisen Tauben über dem Alice-Salomon-Platz in Hellersdorf. Gurrend beobachten sie das Treiben unter ihnen. »Tauben sind Antifaschisten«, ruft die Sängerin der Band Die toten Crackhuren im Kofferraum von der Bühne. »Wenn man sie artgerecht füttert, werden sie uns helfen, die Nazis zuzuscheißen!«
Es ist bereits das 17. Mal, dass das Demokratiefest »Schöner leben ohne Nazis« in Marzahn-Hellersdorf gefeiert wird. 2000 Besucher*innen haben sich am Samstag von dem bunten Programm anlocken lassen, um gemeinsam ein Zeichen für Toleranz zu setzen. An 76 Ständen präsentieren sich zahlreiche politische Initiativen. Glücksräder werden gedreht, Infomaterialien verteilt und zur Mitarbeit für das zivilgesellschaftliche Netzwerk »Hürdenlauf gegen Nazis« geworben.
Kinder spielen am Mobilen Jugendzentrum, und nach dem Wocheneinkauf im
Markplatz-Center verschlägt es auch viele Hellersdorfer Familien auf den Platz.
Eine Mitarbeiterin von »Berlin gegen Nazis« verteilt Sitzkissen, Buttons und Informationsbroschüren. Zu »nd« sagt sie: »Wie könnten wir nicht ein Fest im Bezirk supporten, dass ›Schöner leben ohne Nazis‹ heißt? Diese Vision ist hier im Bezirk wichtiger denn je.« Nachdem Marzahn-Hellersdorf noch im Frühjahr Schlagzeilen mit Neonaziaufmärschen gemacht hatte, sind an diesem Nachmittag überall klare Botschaften verteilt. »Die Zivilgesellschaft zeigt hier heute erneut, dass sie den Versuchen rechter Raumnahme etwas entgegenzusetzen hat. Das feiern wir«, sagt sie.
Der jährlich wachsende Zuspruch für das Fest freut Martin Kleinfelder, der seit Beginn als Koordinator des Organisationskreises tätig ist. Er erinnert sich noch an ganz andere Zeiten. Als das »Schöner leben ohne Nazis«-Fest 2009 das erste Mal stattfand, war der Bezirk und speziell die Helle Mitte »medial als No-go-Area benannt«. Dieser Eindruck hatte durchaus seine Gründe.
Ab 2006 rückten die Neonazi-Aktivitäten in dem Berliner Ostbezirk verstärkt in den Fokus. Bei ihren Versuchen, den öffentlichen Raum im Bezirk zu besetzen, schreckten die Neonazis nicht vor Gewalt zurück. Vor den Wahlen für das Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente im selben Jahr wurde ein Wahlhelfer der SPD beim Aufhängen von Plakaten brutal zusammengeschlagen. Fortan konnte sich der Betroffene nicht mehr sicher im Bezirk bewegen. Schon damals wollten Neonazis in Marzahn-Hellersdorf Angstzonen für politische Gegner etablieren.
»Wir haben das Fest organisiert, weil wir den Platz in die Gesellschaft zurückholen wollten.«
Martin Kleinfelder Roter Baum e.V.
Wenig später zog die Neonazipartei NPD bei der Kommunalwahl mit 6,4 Prozent in die Marzahn-Hellersdorfer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein. 2007 wurde an einem NPD-Stand in der Stendaler Straße ein 67-jähriger Mann von den Betreibern tätlich angegriffen. Auf dem Blog der Projektwerkstatt Wut befindet sich noch immer eine lange Chronik neonazistischer Übergriffe aus der damaligen Zeit.
Martin Kleinfelder möchte mit »Schöner leben ohne Nazis« ein Zeichen in Hellersdorf setzen: »Wir haben das Fest organisiert, weil wir den Platz in die Gesellschaft zurückholen wollten. Seit der damaligen Zeit ist der Neonazismus nicht weniger geworden, und deshalb hören wir auch nicht auf.«
Seit 2001 ist der Verein Roter Baum, zu dem Martin Kleinfelder gehört, in Berlin aktiv. Neben dem jährlichen Demokratiefest betreibt der Rote Baum mehrere Jugendzentren, organisiert jugendpolitische Veranstaltungen, Stadtteilarbeit und ermöglicht internationale Begegnungen. Der Rote Baum steht für Vielfalt im Bezirk. Die Mitarbeiter*innen helfen tatkräftig beim Fest. Seit den frühen Morgenstunden bauen sie Stände, eine Hüpfburg und technisches Equipment auf.
Wie präsent die Gefahr ist, zeigt sich am Nachmittag: Teilnehmende berichten »nd«, dass ein in der Kleinpartei »Dritter Weg« organisierter Neonazi über das Festgelände zog und sie fotografierte. »Dass die Neonazis uns fotografieren, ist nicht neu. Sie wollen uns damit einschüchtern, markieren und Feindeslisten anlegen«, sagt eine junge Teilnehmerin zu »nd«. Doch man mache trotzdem weiter.
Zum Schutz der Teilnehmenden ist eine Security-Firma eingesetzt worden. Am Nachmittag gibt es rege Diskussionen über den Ausschluss von Neonazis. Eine Polizistin diskutiert mit der Firma und bekundet, das Hausrecht würde bei einem Fest nicht gelten. Sie sollten die Neonazis am besten dulden. Wenig später positionieren sich fünf junge Neonazis nahe dem Fest, einer zeigt den Hitlergruß.
Die Veranstalter*innen und Künstler*innen machen zugleich klar, dass Neonazis nicht willkommen sind. Der 16-jährige Yung Pepp aus Leipzig begeistert das junge Publikum mit seinen Texten über Träume und Freundschaften. Im Song »Wassereis« singt er: »Ich mag meine Welt nicht braun, ich mag sie farbenfroh«.
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