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Gewinner und Verlierer der deutschen Einheit
Brandenburgs Diktaturbeauftragte lässt 35 Jahre danach Raum für unterschiedliche Perspektiven
»Ich hatte in der DDR einen guten Job. Es gab keine Arbeitslosigkeit. Danach begannen für mich die Schwierigkeiten.« Solche Sätze hört Maria Nooke immer wieder. Sie erzählt davon am Montag, als sie gebeten wird, Beispiele für die von ihr beklagte DDR-Verharmlosung zu nennen, die täglich zu erleben sei. Nooke ist so eine Art Stasi-Landesbeauftragte. Offiziell bezeichnet ist ihre Funktion mit: Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur.
Nach der deutschen Einheit vom 3. Oktober 1990 erlebte Ostdeutschland Massenentlassungen und Massenarbeitslosigkeit. Erst vor zehn Jahren begann Brandenburg, sich langsam davon zu erholen. Auf die Erwähnung der Treuhandanstalt reagieren viele »allergisch«, weiß Nooke. Kein Wunder! Die Treuhand privatisierte volkseigene Betriebe mit einem geschätzen Gesamtwert von 600 Milliarden D-Mark, machte dabei 250 Millionen Mark Verlust und vernichtete 2,5 Millionen Arbeitsplätze.
Doch die Möglichkeiten und Chancen für manche Gewinner der Wiedervereinigung geraten bei einer solchen Betrachtung aus dem Blick, beklagt Nooke. Bei Veranstaltungen zum 35. Jahrestag der deutschen Einheit, an denen sich Nooke selbst oder ihre Stellvertreterin beteiligen, soll es darum gehen, welchen Wert die einst erkämpften Errungenschaften haben. »Die Geschichte zeigt, dass Freiheit und Rechtsstaatlichkeit keine Selbstverständlichkeit sind«, meint Nooke. Die Nachgeborenen wüssten darüber viel zu wenig. In den Familien werde ihnen sehr Unterschiedliches erzählt. Deshalb würde es die Beauftragte begrüßen, wenn in den Schulen und Universitäten mehr DDR-Geschichte vermittelt würde. Nooke hat immerhin begriffen: »Ein Diskus entsteht nur, wenn wir die unterschiedlichen Perspektiven zulassen.« Opposition habe es in der DDR gegeben, Resignation und Anpassung, aber auch das Mitmachen aus Überzeugung. Die Devise der Beauftragten: »Erfolge erinnern und über die erlebten Schwierigkeiten sprechen.«
Geplant ist beispielsweise ein Gesprächsnachmittag für Senioren am 15. Oktober um 15 Uhr im Stadtmuseum Cottbus zum Thema: »35 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit – Aufbrüche, Hoffnungen und Enttäuschungen«. Die Gäste sind eingeladen, über das Gefühl der Befreiung genauso zu erzählen wie von schmerzhaften Einschnitten und tiefer Verunsicherung. »Es darf auch kontrovers sein«, sagt Nooke.
Westdeutsche, die nach Brandenburg zugezogen sind, sollen ebenfalls gehört werden. Für diese Zugezogenen sei die Wiedervereinigung auch ein biografischer Wendepunkt gewesen, sagt Nooke. Am Montagmorgen hat sie einen Facebook-Eintrag eines Westdeutschen gelesen, der die Ostdeutschen zurück ins Jahr 1988 wünschte. Ein Vorher-Nachher-Foto habe zeigen sollen, wie schlimm es war und wie schön es geworden sei. Allerdings stammten die Fotos nicht aus der DDR, sondern aus dem polnischen Łódź. Die sich dazu entspinnende Diskussion über undankbare Ostdeutsche gipfelte in der Forderung: »Baut die Mauer wieder auf!«
Nicht ganz ernst gemeint machte 2011 mit einer solchen Forderung die Partei des Satirikers Martin Sonneborn Wahlkampf. Es sollten spezielle Klappen eingebaut werden, um Bananen nach Ostberlin durchzureichen. Ansonsten wollte die Spaßpartei es wieder so haben, wie es bis 1989 gewesen ist. Hätte sie bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September 2011 die Macht errungen, sollte erneut eine Mauer die Stadt in zwei Teile trennen. Die Partei vertrat augenzwinkernd die Überzeugung, ein solcher Plan sei sicherlich in Ost wie West mehrheitsfähig.
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