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Wahlergebnismit Geschmäckle
Christoph Ruf erkennt Widersprüche beim Umgang mit dem BSW
Es ist alle vier Jahre das Gleiche: Immer dann, wenn eine Bundestagswahl ansteht, setzen Schauspielerinnen, Bundespräsidenten, Pfarrer und sonstiges Volk ihr ernstestes Gesicht auf und bringen dem trägen Wahlvolk bei, dass man die Demokratie schwer beschädige, wenn man nicht zur Wahl geht. Umso erstaunlicher, wie wenig Stimmen dann allerdings zählen, wenn sie bereits abgegeben wurden. Schon am Abend der Bundestagswahl hätte es angesichts des knappen Scheiterns des BSW an der Fünf-Prozent-Hürde meiner Meinung nach eine Neuauszählung geben müssen. Nicht einmal 10 000 Stimmen mehr und die jetzige Regierung hätte keine Mehrheit mehr? Müsste eine demokratische Regierung nicht das Bedürfnis haben, wirklich legitimiert zu regieren? Zumal, wenn sich die Erzählungen aus den Wahllokalen häufen, dass zu Lasten des BSW falsch ausgezählt wurde.
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Nun, die Stimmen, die eine Neuauszählung forderten, blieben aus. Nicht nur die aller konkurrierenden Parteien, sondern auch die der besorgten Promis. Aber vielleicht dachten die ja auch wie ich, dass das Bundesverfassungsgericht eine Neuauszählung abgelehnt hätte. Das stimmt jedoch bislang nicht. Es hat erst mal nur auf das zweistufige Verfahren verwiesen, das bei solchen Fällen greift. Zunächst nämlich muss der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages entscheiden. Und zwar »in angemessener Frist«.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Der allerdings besteht aus den Mitgliedern der im Bundestag vertretenen Fraktionen. Und die haben kein Interesse daran, dass die eigene Fraktion schrumpft, wenn das BSW ein paar Sitze bekäme. Dabei müsste es bei solch grundsätzlichen Fragen wie der Korrektheit eines Wahlergebnisses doch eigentlich egal sein, wie man zu einer Partei steht, die ja in Teilen des linken Milieus mindestens so verachtet wird wie im konservativen Milieu – und das auf teils ähnlich hohem intellektuellem Niveau (»Putin-Freunde«).
Erst Ende Juni wurde also der Ausschuss gebildet, und entschieden hat der natürlich noch nichts. Das ist praktisch für die anderen Parteien, denn erst dann, wenn der Ausschuss den Einspruch des BSW verworfen hat, kann die Partei Karlsruhe anrufen. Doch es kommt noch ärger. Denn mittlerweile liegt ein Gutachten von Eckhard Jesse und Uwe Wagschal vor, das allerlei Merkwürdigkeiten bei der Auszählung aufzählt – von zu Unrecht einer obskuren Kleinstpartei namens »Bündnis Deutschland« zugeschriebenen Stimmen fürs BSW bis zu auffällig hohen ungültigen Wahlzetteln in BSW-Hochburgen. Empfohlen wird »eine bundesweite Neuauszählung«. Die sei »angesichts vieler Ungereimtheiten nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend geboten«.
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Das finde ich interessant. Noch interessanter finde ich, dass ich die Intervention der Professoren nie gelesen hätte, wenn mich ein Freund mit BSW-Sympathien nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Kein Wort davon in irgendeiner Nachrichtensendung, keins in den meisten Tageszeitungen, mit Ausnahme eines langen Gastbeitrags in der »FAZ«. Ob das wohl genauso eloquent beschwiegen würde, wenn SPD, Linke oder CDU Leidtragende eines fehlerhaften Auszählungsverfahrens geworden wären, fragt mein Freund. Ich gebe das mal so weiter.
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