Buchdruckerhaus Berlin: Verstecktes Juwel der 1920er öffnet Türen

Das Buchdruckerhaus in Kreuzberg verbindet seit 100 Jahren Wohnen, Kultur und Organisation

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut: Das Haus der Gewerkschaft »Verband der der Deutschen Buchdrucker«
Im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut: Das Haus der Gewerkschaft »Verband der der Deutschen Buchdrucker«

Man kann hören, dass plötzlich viele Herzen höher schlagen, als die Besucher*innen den alten Fahrstuhl entdecken. Etwa 40 Menschen schieben sich durch das Foyer, das sie mit seinen dunklen Fliesen in die Neue Sachlichkeit der 1920er-Jahre zurückkatapultiert. Der Fahrstuhl leistet in den Vormittagsstunden an diesem Samstag dann Dauerfahrten zwischen den vier Etagen.

Viele der Besucher*innen sagen, dass sie diesen geheimnisvollen Ort schon lange auch mal von innen erleben wollten. Die Besichtigung des Buchdruckerhauses unweit des alten Flughafens Tempelhof wird von Constanze Lindemann angeführt. Die Vorsitzende des »Karl-Richter-Vereins« erläutert, dass die Skelettkonstruktion mit dem Stahlbeton eine variable Einteilung der Etagen und das Aufstellen der schweren Druckmaschinen ermöglichte. Der vor rund 100 Jahren von Max Taut und Franz Hoffmann konzipierte Bau sollte Wohnen und Produktion, Kultur und gewerkschaftliche Organisation in einem Gebäudekomplex verbinden.

Das Haus der Buchdrucker wurde zwischen 1924 und 1926 ausschließlich von den Gewerkschaftsmitgliedern finanziert. Für sie stellte dieses Haus damit einen erheblichen »Mehrwert« dar, der ihnen in ihrer Produktion von den Kapitalisten entzogen blieb. Sie konnten von Leipzig, wo sich die Buchdruckergewerkschaft 1866 gegründet hatte, nach Berlin umziehen und gewissermaßen ihre Druckerei mitnehmen. Zugleich hatten sie hier Wohnraum für Hauptamtliche sowie Versammlungsräume in einem Gebäudekomplex. Heute wird das Gebäude wieder für Büroräume genutzt.

Das Haus der Buchdrucker wurde zwischen 1924 und 1926 ausschließlich von den Gewerkschaftsmitgliedern finanziert.

In der seit 100 Jahren stetig erweiterten »Bibliothek der Berliner Buchdrucker« im linken Gebäudeflügel findet sich bis heute ein Bestand von mehr als 2000 Bänden, Nachlässen, Zeitschriften und Akten. Sie spiegelt die seit Gründung des »Deutschen Buchdruckerverbandes« 1866 bewegte Organisationsgeschichte bis zur Industriegewerkschaft Druck und Papier und schließlich zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wider. Nach den Bibliotheken des »Gutenberg-Museums« in Mainz und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn hat diese Bibliothek im Haus der Buchdrucker in Kreuzberg den größten Bestand an Archivalien des grafischen Gewerbes, sagt Lindemann.

Sie berichtet auch, wie die Nazis »mit ihrer Mischung aus Zerstörungswut und Aneignungsgebaren« das Haus nach ihrer Machtergreifung als eine ihrer Berliner Zentralen auserkoren hatten. Nach 1945 wurde es dann an die Industriegewerkschaft Druck und Papier zurückübertragen, die später dann, 1989, in der neu gegründeten IG Medien aufging. Nachdem diese im Laufe der 1990er-Jahre gegen viele Widerstände auch werbeindustrielle Branchen aufnehmen wollte, ging sie Anfang der 2000er-Jahre schließlich in der neu gegründeten Verdi auf.

Von ganz unten bis unters Dach sind in diesem historischen Buchdruckerhaus architektonische Feinheiten und Schätze zu entdecken. So kann durch die auf dem Boden des Innenhofs eingelassenen gläserne Quadrate das Tageslicht in den weitläufigen Kellerbereich fallen und spart dort so am Tag die elektrische Beleuchtung. Ulrich Diebach, einer der Besucher, ist begeistert von der schlichten Eleganz und Funktionalität des gesamten Komplexes. Der 73-Jährige interessiert sich vorrangig für Bauhaus-Architektur und kommt jedes Jahr zum Tag des offenen Denkmals aus Hannover nach Berlin. In der vergangenen Woche war er bereits bei den Tagen der Industriekultur in Leipzig.

An diesem Sonnabend hat sich auch Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) der Besuchergruppe angeschlossen. Er sei aus privatem Interesse hier, natürlich auch neben einer gewissen Repräsentanz zum Tag des offenen Denkmals. »Das IG Metall-Gebäude zum Beispiel kennt man ja, doch das Buchdruckerhaus hier war für mich bisher ein verborgener Schatz«, sagt er.

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