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Radsport: Die Vuelta endet mit einem »Sieg für Palästina«

Die Spanien-Rundfahrt im Chaos politischer Proteste

  • Tom Mustroph, Madrid
  • Lesedauer: 4 Min.
Die propalästinensischen Demonstrationen bei der Vuelta läuten eine neue Ära politischer Proteste bei Sportveranstaltungen ein.
Die propalästinensischen Demonstrationen bei der Vuelta läuten eine neue Ära politischer Proteste bei Sportveranstaltungen ein.

»Sieg für Palästina« – diese Rufe hallten lautstark durch Madrid. Nachdem tausende Teilnehmer der Demonstration gegen den Gaza-Krieg die Absperrungen durchbrochen und die Straßen der spanischen Hauptstadt besetzt hatten, wurde die letzte Etappe der Vuelta a España am Sonntag 57 Kilometer vor dem Ziel abgebrochen. Das Befahren des Rundkurses durch die Innenstadt Madrids war unmöglich geworden. Der Abbruch des Rennens wurde dann auch massenhaft gefeiert, 100 000 Teilnehmer meldete das spanische Innenministerium bei der Demonstration gegen den israelischen Militäreinsatz.

Neue Ära

Die Medienabteilung der Vuelta hatte in den Tagen zuvor eine Zunahme der Akkreditierungswünsche verzeichnet. »Vielleicht hat ja das Radsportfieber plötzlich die Medien erfasst«, meinte ein Mitarbeiter augenzwinkernd. Aber natürlich wurde weniger über den Sport, sondern viel mehr über die begleitenden Proteste berichtet. Diese 80. Ausgabe der Vuelta dürfte als Beginn einer neuen Ära in die Geschichte eingehen, die geprägt ist vom Kampf um Aufmerksamkeit für politische Ziele unter Nutzung der Popularität von Sportveranstaltungen.

Politische Manifestationen am Rande der Vuelta hatte es schon früher gegeben, auch solche, die zum Abbruch einzelner Etappen führten. 1978 etwa blockierten baskische Separatisten eine Halbetappe, woraufhin der letzte Abschnitt in die Zielstadt San Sebastian und das darauffolgende Zeitfahren komplett abgesagt wurden. Patrick Lefevere, langjähriger Rennstallchef von Soudal Quick Step und 1978 als Fahrer bei der Vuelta dabei, beschrieb dies kürzlich in seiner Kolumne in der Zeitung »Het Nieuwsblad«: »Als wir durch ein baskisches Dorf fuhren, hielten uns Barrikaden aus Holz auf. Uns wurde das Passieren nur erlaubt, nachdem der spanische und der französische Landesmeister ihre Trikots mit den nationalen Farben bedeckt hatten. Sie machten das dann auch.«

Im Jahr 1988 war die Strecke des Teamzeitfahrens mit Reißzwecken bepflastert worden – ausgestreut von Separatisten der Kanarischen Inseln, die so die Kolonialmacht vom Festland attackieren wollten. Drei Vuelta-Etappen fanden damals auf den Kanaren statt. Vor zwei Jahren wollten katalanische Aktivisten zuschlagen. Sie hatten geplant, ein Ölfass auf der Strecke zu entleeren, was von der Polizei verhindert werden konnte.

Abbruch des Rennens

Die Organisatoren sind es also gewohnt, dass ihre Rundfahrt als Vehikel für politische Proteste benutzt wird. Die derzeitigen Proteste stellen dennoch eine neue Qualität dar. Sie waren kein isoliertes Ereignis, sondern zogen sich fast über den kompletten Verlauf der Vuelta hin. Auftakt war das Teamzeitfahren auf der fünften Etappe, als die Fahrer von Israel Premier Tech gestoppt wurden. An der Teilnahme dieses aus Israel finanzierten Rennstalls entzündete sich auch der große politische Unmut. Protestaktionen folgten auf insgesamt sieben weiteren Etappen, in Bilbao führte die Masse der Demonstranten und das Durchbrechen der Barrieren auf der elften Etappe zum ersten Abbruch des Rennens.

In der Hauptstadt Madrid allerdings erreichten die Proteste historische Dimensionen. Nach dem Abbruch der Schlussetappe wurde dann auch die traditionelle Siegerzeremonie abgesagt. Die Rennfahrer verstauten ihre Räder auf den Dachgepäckträgern der Begleitfahrzeuge und verschwanden in den Teamhotels. Auf dem Parkplatz vor einem dieser Hotels wurde dann immerhin eine spontane Siegerzeremonie abgehalten – mit Kühlboxen als Siegerpodest. Die Profis und ihre Betreuer integrierten sogar Sponsorenpanels der Vuelta in die freie Zeremonie. Geehrt wurde neben Gesamtsieger Jonas Vingegaard auch Matthew Riccitello als bester Nachwuchsfahrer. Der US-Amerikaner, der für Israel Premier Tech fährt, hatte sich sogar ein Kleidungsstück übergestreift, auf dem noch der Schriftzug »Israel« zu sehen war. Während der Vuelta hatte der Rennstall den Landesnamen erst von allen Fahrzeugen und später dann auch von der Rennkleidung entfernt.

Breites Bündnis

Dass der Ausdruck politischen Unmuts am Rande der Spanien-Rundfahrt derartige Dimensionen annehmen konnte, lag natürlich auch an der Grausamkeit des Krieges in Gaza. Es hatte aber auch das komplette linke Parteienspektrum von Izquierda Unida über die regierenden Sozialdemokraten bis hin zu Podemos zu den Protesten mobilisiert. Ehemalige Ministerinnen von Podemos nahmen in Madrid auch an der Demonstration teil. Premierminister Pedro Sanchez hatte ausdrücklich seinen Stolz über die Proteste betont, während das konservative Lager sie verurteilte, ja teilweise als terroristischen Akt brandmarkte.

Auch der Radsport steckt also mittendrin in den politischen Auseinandersetzungen dieser Welt. Und weil die Krisen zunehmen, dürften die Proteste weiter eskalieren. Etwas hilflos wirkte dabei der Aufruf von Altmeister Lefevere, den Sportlern auch das Recht auf Ausübung ihres Sports zu garantieren. Mehr Polizei an der Strecke hilft nicht unbedingt, wie der Sonntagabend in Madrid zeigte. Mehr politischer Sachverstand, Gerechtigkeit und eine Friedenspolitik, die diesen Namen verdient, könnten aber schon zur Beruhigung beitragen. Ansonsten droht der mediale Aufmerksamkeit garantierende Profisport zur Geisel des politischen Aktivismus zu werden.

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