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Ratlosigkeit in Kairo
Aus Angst vor gesellschaftlichen Verwerfungen im Land unternimmt die ägyptische Regierung wenig im Gaza-Krieg
Nein, über Gaza möchte er nicht reden, sagt Hassan, der Taxifahrer, auf dem Weg vom Hotel zum ägyptischen Außenministerium in der neuen Verwaltungshauptstadt, einem imposanten, gigantischen Komplex gut 45 Kilometer östlich von Kairo. Er ist glücklich: »Wir haben gerade viele Touristen, das bedeutet viel Arbeit für mich.« Und Arbeit, die ist in Ägypten rar, ebenso wie Geld. Das Land hat enorme wirtschaftliche Probleme, und das bedeutet auch: gesellschaftliche Probleme. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Armut auch. Die Regierung von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, der 2013 den gewählten, aber der Muslimbruderschaft nahestehenden Präsidenten Mohammad Mursi aus dem Amt geputscht hatte, hat Schwierigkeiten zu liefern. Mega-Projekte wie die neue Verwaltungshauptstadt oder der Bau eines Schnellbahnnetzes sollen Abhilfe schaffen. Und eben der Tourismus.
Vor dem neuen Außenministerium, einem Komplex aus Glas und Beton, herrscht reger Betrieb; westliche und arabische Diplomaten sind in Gespräche versunken. Das Thema: natürlich Gaza. Was soll man machen? Was kann man machen? Was ist mit den arabischen Staaten los? Und mit Ägypten? Die israelische Bodenoffensive in Gaza-Stadt ist in vollem Gange. Wieder einmal flüchten die Menschen in einem nicht endenden Strom Richtung Süden, an die ägyptische Grenze. Am Montag hatten sich die 60 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga und der Organisation für islamische Zusammenarbeit in Katar zu einem gemeinsamen Gipfel getroffen. Einer nach dem anderen verurteilte die israelische Kriegsführung in Gaza, den Luftangriff auf das Hamas-Politbüro in Katar in der vergangenen Woche in scharfen Worten.
Konkrete Maßnahmen hingegen wurden nicht vereinbart. Die arabischen Staaten, die in den vergangenen Jahrzehnten Beziehungen zu Israel aufgenommen haben, halten daran fest. Hier, in der neuen Verwaltungshauptstadt, wird schnell klar, warum: In vielen Staaten der arabischen Welt sucht man gerade den Weg in die Zukunft, weg von Öl und Gas, der Arbeitslosigkeit, den sozialen Problemen, je nachdem, wo man gerade hinschaut, und das alles in einer ziemlich komplexen Welt.
Russland, China, die USA und Europa haben Kredite oder Investitionen mit Erwartungen verbunden, die sich oft widersprechen. »Wir können nicht einfach mehr hingehen und Israel den Krieg erklären«, sagt Tarek Dschamal, ein ägyptischer Diplomat, zu dessen Ressort die Beziehungen zu Israel gehören: »Es ist ganz klar, dass wir ein deutliches Zeichen an die israelische Regierung senden müssen. Aber ich denke auch, dass wir mit Diplomatie mehr erreichen können als mit Schritten, die der Öffentlichkeit vielleicht gefallen, aber am Ende kein Ergebnis bringen werden.«
Bereits seit Kriegsbeginn unmittelbar nach dem Massaker im Süden Israels am 7. Oktober 2023 hatten Ägypten und Katar versucht, einen Deal zwischen Israel und der Hamas auszuhandeln. Im Privatgespräch heißt es aus dem Umfeld der Verhandler, dass das Scheitern letztlich an beiden Seiten gelegen habe: interne Querelen, politische Erwägungen, öffentlicher Druck und überzogene Erwartungen hätten eine Einigung nahezu unmöglich gemacht.
Wenn man hier in dieser futuristischen Stadt steht, die irgendwann einmal Heimat von bis zu sechs Millionen Menschen sein soll, wird einem aber auch bewusst: Die ägyptische Regierung hat sich von ihrem Volk und seiner Meinung getrennt.
»Wenn wir in Ägypten auch nur einen Teil der zwei Millionen Menschen aus Gaza aufnehmen würden, wäre unser Land ein völlig anderes. Wir wollen nicht so enden wie der Irak oder der Libanon.«
Schaima Fahmi Büroangestellte aus Kairo
Seit vielen Jahren führt man selbst Krieg. Auf der Sinai-Halbinsel kämpft das ägyptische Militär gegen Banden, die sich der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben. Auf dem Land geht man gegen Anhänger der Muslimbruderschaft vor, die auch mehr als zwölf Jahre nach der Machtübernahme Al-Sisis große Unterstützung in der Bevölkerung genießt. Und auch alle, die für mehr Demokratie eintreten, müssen mit der Festnahme rechnen, die auch so gut wie immer Monate in Haft nach sich zieht. Die ägyptische Justiz arbeitet in betonter Langsamkeit. Menschenrechtsorganisationen berichten von weit verbreiteter Folter in Gefängnissen und Polizeistationen.
Die Muslimbrüder, die Banden auf dem Sinai und die Hamas pflegen enge Verbindungen zueinander. Über viele Jahre florierte der Schmuggel von Ägypten in den Gazastreifen. Die Hamas arbeitete dabei sowohl mit den Banden als auch den Muslimbrüdern zusammen.
Vor einem Café in Kairo sitzen am Nachmittag die Menschen. Nein, über Gaza wollen auch sie nicht reden, sagen sie, während die Blicke suchend die Straße auf und ab wandern. Irgendwann sagt dann doch jemand: »Natürlich nimmt uns das alle mit. Aber wenn man zu viel drüber nachdenkt, dann wird man davon doch wahnsinnig.«
Denn da ist auch der Plan israelischer und amerikanischer Politiker, die palästinensische Bevölkerung aus Gaza umzusiedeln, in eines der Nachbarländer, oder gar in einen afrikanischen Staat – eine Idee, die nicht nur deshalb wütende Reaktionen hervorruft, weil dabei die in vielen arabischen Staaten präsente Erinnerung an die Vertreibung von Hunderttausenden während der Kriege 1948 und 1967 aufkommt. »Wenn wir in Ägypten auch nur einen Teil der zwei Millionen Menschen aus Gaza aufnehmen würden, wäre unser Land ein völlig anderes«, sagt Schaima Fahmi, eine Büroangestellte, die gerade einige Einkäufe erledigt: »Vielen von uns ist Stabilität sehr wichtig. Wir wollen nicht so enden wie der Irak oder der Libanon.«
Die Stadtbevölkerung mit sicheren Jobs ist der wichtigste Pfeiler des Regimes von Abdel Fattah Al-Sisi: Mit ihrer Unterstützung kam er 2013 an die Macht, nach zwei Jahren voller Debatten und gesellschaftlichen Konflikten. Nach fast 30 Jahren unter dem diktatorisch regierenden Präsidenten Hosni Mubarak wurde das von vielen als Unruhe aufgefasst, zumal damit auch deutlich wurde, dass ein erheblicher Teil der Gesellschaft ein islamisch geprägtes Regierungssystem favorisierte und es auch heute noch tut.
Auch deshalb ist die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten streng kontrolliert. In der Verwaltungshauptstadt möchte man mit allen Mitteln verhindern, dass Gaza zum Problem Ägyptens wird.
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