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Nicht im Interesse Ostdeutschlands
Ost-Energiebranche blickt skeptisch auf das Regierungsvorhaben, neue Gaskraftwerke zu bauen
Mitunter sieht ein Fehler wie ein Fingerzeig aus. Beim 14. Ostdeutschen Energieforum in Leipzig wurde am Dienstag auf der großen Videolandwand die Schirmherrschaft einem »Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz« zugeschrieben. Ein solches gab es indes nur unter der Ampel-Regierung – in der schwarz-roten Koalition schrumpfte das Superministerium unter der neuen Ministerin Katherina Reiche (CDU) wieder auf den Namen »Wirtschaft und Energie«.
Für Reiches Lieblingsvorhaben, den Bau neuer Gaskraftwerke mit Tausenden Megawatt Leistung, gab es am ersten Tag der Veranstaltung genauso wenig Unterstützung wie für ihre Kritik an den Erneuerbaren. So warnte Danny Wehnert vom Solarunternehmen Leipziger Energie vor dem Framing, Energie sei wegen der Erneuerbaren teuer. Für den Firmenchef sind diese in der Mitte des Energiesystems angekommen, deswegen müsse nachgesteuert werden, etwa beim Thema überlastete Netze. Probleme wie dieses würden aber genutzt, um noch mehr fossile Gaskraftwerke zu fordern. Die Absurdität der Debatte zeigt für Wehnert die jüngste Forderung von CSU-Chef Markus Söder, den »Wildwuchs« bei Batteriespeichern zu beenden, weil diese den Gaskraftwerken die Netzanschlüsse wegnähmen.
Die mittelständisch geprägte Erneuerbaren-Branche im Osten sieht die Energiewende eher als wirtschaftliche Chance, wie das Forum deutlich machte. Die großen Preisunterschiede am Strommarkt schrien geradezu nach Flexibilitäten, gab der Chef der Leipziger Energiebörse EEX, Peter Reitz, zu verstehen.
Und, so ist hinzuzufügen, dank der Preisunterschiede boomen neue Geschäftsmodelle, bei denen Start‑ups und Risikokapital zusammenfinden. Dabei geht es darum, die schwankende Erzeugung aus Sonne und Wind sowie den schwankenden Verbrauch von Unternehmen gewinnbringend zu verbinden.
Zum Regierungsvorhaben, neue Erdgaskraftwerke zu errichten, äußerte sich in Leipzig auch der Energiekonzern Leag. Der Chef der Leag-Tochter Clean Power, Thomas Brandenburg, kritisierte einen »unfairen« Südbonus, den die Ausschreibungen für die neuen Gaskraftwerke nach Reiches Vorstellung enthalten sollen. Dieser soll dafür sorgen, dass im netztechnischen Süden Deutschlands besonders viele Gasanlagen gebaut werden und so die dort fehlende Windkraft ausgeglichen wird.
Die Leag lehnt den Bonus ab. Mit den für die neuen Gaskraftwerke veranschlagten Betriebsstunden lasse sich kein Gaskraftwerk refinanzieren, so Manager Brandenburg. Seien die Ausschreibungen wirtschaftlich nicht »auskömmlich« und käme noch eine Vorschrift dazu, dass die Kraftwerke nach sieben Jahren auf Wasserstoff umgestellt werden müssen, sonst wäre Förderung zurückzuzahlen, werde die Branche kein einziges Gaskraftwerk bauen.
Leichte Zweifel an der Gaskraft-Strategie meldete auch Elisabeth Kaiser (SPD) an. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung betonte, gerade im Interesse Ostdeutschlands müsse der Erneuerbaren-Pfad weiterverfolgt werden. Und je schneller man da vorankomme, desto weniger stelle sich überhaupt die Frage nach Gaskraftwerken. Bei der pro Kopf installierten Leistung von Wind- und Solarenergie lägen Länder wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt vorn, lobte die Beauftragte.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Begeisterung für die Erneuerbaren im Osten abnimmt. Inzwischen hat Mecklenburg-Vorpommern nach Branchenangaben mit 44 Monaten die längste durchschnittliche Genehmigungsdauer für Windkraft. Es folgen Brandenburg mit rund 32 und Thüringen mit 27 Monaten – der bundesweite Schnitt liegt mit knapp über 18 Monaten sehr viel niedriger. Mitte September nahmen die Kreisräte des Landkreises Leipzig den Antrag einer rechtsextremen Fraktion an, der ein Moratorium für alle Windkraft-Vorhaben fordert. Und die Thüringer Landesregierung aus CDU, BSW und SPD sieht die gesetzliche Verpflichtung, 2,2 Prozent der Landesfläche bis 2032 für Windkraft auszuweisen, schon so gut wie gekippt.
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Solche gegenläufigen Tendenzen spielten beim Ostforum aber nur am Rande eine Rolle. Im Moment hat man offenbar genug damit zu tun, die erzeugten Mengen erneuerbaren Stroms nützlich zu verwenden. So fand der Vorschlag Zustimmung, Deutschland in mehrere Strompreiszonen aufzuteilen, damit auch die Länder mit hohem Ökostrom-Anteil in den Genuss billigeren Stroms kommen. Dagegen sprach sich vor allem der EEX-Chef aus. Logisch – hängen doch die Geschäfte der Börse vor allem davon ab, dass Strom möglichst oft ver- und gekauft wird, auch wenn das Netz ihn gar nicht durchleiten kann.
Den Wunsch nach Gaskraftwerken sucht man indes auch in einem zum Forum veröffentlichten Forderungskatalog der ostdeutschen Unternehmensverbände vergeblich. Verlangt wird neben vielem anderen die Einführung eines »mittelstandsgerechten Strompreises« mit Preiskappung. Ermöglicht werden sollen zudem lokale Stromgemeinschaften, Mieterstrom und Strom-Direktliefermodelle.
Fragt sich am Ende, ob all die Impulse aus dem Osten in einem Ministerium ankommen, das zwar Energie im Namen trägt, aber mit dem Verlust des Wortes Klimaschutz von diesem nicht mehr viel wissen will.
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