Ilaria Salis will Prozess in Italien

Die italienische Europaabgeordnete zeigt sich zuversichtlich vor anstehender Entscheidung

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Noch kann sich die italienische Europaabgeordnete und antifaschistische Aktivistin Ilaria Salis frei bewegen, wie hier bei einem Besuch der Fabbrica del Vapore in Mailand. Doch die ungarische Regierung von Viktor Orbán will sie in Budapest eingesperrt sehen.
Noch kann sich die italienische Europaabgeordnete und antifaschistische Aktivistin Ilaria Salis frei bewegen, wie hier bei einem Besuch der Fabbrica del Vapore in Mailand. Doch die ungarische Regierung von Viktor Orbán will sie in Budapest eingesperrt sehen.

Der Einfluss von Viktor Orbán reicht bis in die Säle für Pressekonferenzen des Europaparlaments. Nachdem am Dienstag der Rechtsausschuss das Gesuch zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität der italienischen Abgeordneten Ilaria Salis zurückgewiesen hatte, konfrontierte ein ungarischer Journalist bei einer Pressekonferenz Salis mit dem Foto der Person, die angeblich 2023 von der EU-Abgeordneten geschlagen worden sein soll. Er stand auf, ging zum Podium und zeigte auf seinem Tablet demonstrativ das Gesicht des Mannes, auch den Journalisten. Salis protestierte gegen diese Stimmungsmache. Der Vorfall zeigt, dass die ungarische Regierung nicht nachgeben und Ilaria Salis wie auch andere im Budapest-Komplex angeklagte Aktivisten hinter Gittern sehen will.

Für die antifaschistische Aktivistin Ilaria Salis hat der Antrag auf Aufhebung der Immunität durch die ungarische Regierung nur ein Ziel: »Sie wollen mich zum Schweigen bringen.« Nach der Zurückweisung durch den Rechtsausschuss fällt am 7. Oktober die endgültige Entscheidung in einer Plenarsitzung des Europaparlaments. Da wird es vor allem auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten aus der Gruppe der Europäischen Volkspartei (EVP) ankommen, der größten Fraktion.

Die direkt Betroffene gibt sich zuversichtlich. Nach dem knappen positiven Votum im Ausschuss blickt Salis »mit neuem Vertrauen auf die Abstimmung im Oktober«, wie sie bei der Pressekonferenz erklärte. Gleichzeitig stellte sie klar, dass es nicht ihre Absicht sei, sich wegen der Anschuldigungen einem Prozess zu entziehen, sondern dass sie Schutz vor »politischer Justiz und Rache« in Ungarn suche.

»Ich will in Italien prozessiert werden«, sagte Salis und forderte die italienische Regierung auf zu intervenieren, um sie zu beschützen. Ein Prozess in Italien wegen im Ausland begangener Straftaten ist im italienischen Rechtssystem vorgesehen. Salis hatte 2023 gegen eine Parade von Neonazis und SS-Nostalgikern in Budapest protestiert. Die ungarische Justiz wirft ihr vor, einen der aufmarschierten Neonazis geschlagen zu haben. Am Mittwoch bekräftigte sie, dass die Anschuldigungen haltlos seien. Polizisten, die nicht als solche zu erkennen gewesen seien, hätten sie in Budapest aus einem Taxi gezerrt und festgenommen. Nur durch die Wahl ins Europaparlament kam sie frei.

Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Gruppe Die Linke im Europaparlament, dankte den »Kollegen im Rechtsausschuss«, die im Sinne der Grundwerte der Europäischen Union entschieden hätten – »über Parteigrenzen hinweg«. In Ungarn gebe es »keine Rechtsstaatlichkeit, keine fairen Prozesse und keine unabhängigen Gerichte«. Ein Bericht der EU-Kommission habe das auch bestätigt. Er erinnerte daran, dass auch das deutsche Bundesverfassungsgericht die Auslieferung von Aktivisten an Ungarn für rechtswidrig erklärt habe.

Cuno Tarfusser, vormals Richter am Internationalen Strafgerichtshof, berichtete von zwei Präzedenzfällen, in denen Gerichte in Mailand und in Paris die Auslieferung von Aktivisten an die ungarische Justiz abgelehnt hatten: zum einen wegen der »Unverhältnismäßigkeit zwischen Straftaten und angedrohter Strafe«; zum anderen wegen der »Entwicklung Ungarns zu einer sogenannten illiberalen Demokratie«, in der die Justiz »weder unabhängig noch unparteiisch« sei. Auf dem Spiel stünden der »Schutz der grundlegenden Menschenrechte und der Menschenwürde«, so Tarfusser, sowie »die Glaubwürdigkeit der EU-Institution hinsichtlich der Übereinstimmung ihrer eigenen Entscheidungen zum Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn«.

Das Europaparlament habe im April 2024 mit einer Entschließung die gravierenden Defizite der ungarischen Rechtsstaatlichkeit kritisiert, erinnerte Schirdewan. Es gehe um die »Glaubwürdigkeit des EU-Parlaments und der europäischen Demokratie«. Hinter diese Entschließung könne das Parlament nicht zurück: an einem Tag die Probleme mit der ungarischen Justiz anzusprechen und an einem anderen Anträgen Ungarns auf Aufhebung der Immunität von Abgeordneten zuzustimmen, gehe nicht zusammen. Der Ko-Vorsitzende der Gruppe Die Linke ruft die Europaabgeordneten daher auf, grundsätzlich derartige Anträge von ungarischer Seite abzulehnen.

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