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»All Eyes on Gaza«: Gegen zweierlei Maß bei Kriegsverbrechen

Endlich sind auch aus Deutschland die Stimmen für ein Ende des brutalen israelischen Kriegs in Gaza laut zu hören, meint Jana Frielinghaus

Das Netzwerk Progressive Linke hatte zu einer Kundgebung gegen die »einseitig« propalästinensische Großdemo aufgerufen. Man wollte dort zwar keine Flaggen sehen, aber es kamen doch viele mit Fahnen. Es waren ausschließlich israelische.
Das Netzwerk Progressive Linke hatte zu einer Kundgebung gegen die »einseitig« propalästinensische Großdemo aufgerufen. Man wollte dort zwar keine Flaggen sehen, aber es kamen doch viele mit Fahnen. Es waren ausschließlich israelische.

Es war ein ebenso machtvolles wie überfälliges Signal, das am Samstag Zehntausende aus Berlin in die Welt und vor allem an die unter täglichen israelischen Bombardements leidenden Menschen in Gaza sendeten. Endlich, so dachten vermutlich sehr viele Mitglieder und Sympathisanten der Partei Die Linke, hat auch sie eine klare Position gefunden: Die grauenhaften Verbrechen von Hamas- und anderen islamistischen Kämpfern am 7. Oktober 2023 rechtfertigen so gut wie nichts von dem, was Israels Armee seither der Bevölkerung des Gazastreifens angetan hat. Und auch keins der Pogrome gegen palästinensische Bewohner des Westjordanlands, ihre Enteignung und Vertreibung.

Dass Israels Krieg in Gaza nichts mit Selbstverteidigung zu tun hat, das sagt jetzt auch Die Linke, wo zumindest ihre Führung zu lange still war. Dass ihre Vorsitzende Ines Schwerdtner das auf der Demo offen eingestanden hat, ist ein wichtiger Schritt. Einzelne Bundestagsabgeordnete der Partei haben ihre Stimme von Anfang gegen das Morden und die gezielte Zerstörung sämtlicher Infrastrukturen in Gaza erhoben. Dass es viele nicht taten, liegt natürlich an der besonderen Situation in Deutschland, wo, zumindest in der alten Bundesrepublik, eine Schlussfolgerung aus dem industriellen Massenmord an den europäischen Juden uner dem Hitlerregime lautete: bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel. Und daran, dass deshalb Stimmen, die das Agieren dieses Staates kritisieren, stets unter Antisemitismusverdacht gestellt werden.

Die freimütigen kolonialistischen Aussagen und Vertreibungsabsichten auch von Gründervätern Israels gegenüber der im früheren britischen Mandatsgebiet Palästina lebenden arabischen Bevölkerung wurden und werden in der Bundesrepublik weitgehend ignoriert. Und auch, dass nicht nur die aktuelle, sondern auch frühere israelische Regierungen nicht nur Fantasien, sondern auch Pläne für ein »Großisrael« pflegten. Und dass diese nun umgesetzt werden sollen.

Tut nichts: Die erwartbaren Medienkommentare ließen nicht lange auf sich warten. Da wurde nicht selten die Großdemo für Frieden in Gaza mit einer radikalen propalästinensischen Kundgebung in Berlin-Kreuzberg zusammengeworfen und behauptet, Zehntausende hätten für ein »Kalifat« demonstriert.

Traurig ist nur, dass die Großdemo für Gaza auch von Leuten, die sich als Linke bezeichnen, mit dem Antisemitismusverdikt gebrandmarkt wurde. Da pickt man sich einzelne Plakate und T-Shirt-Aufdrucke heraus, um die gesamte Demo zu diskreditieren. Mancher ist sich nicht zu schade, den Demonstrierenden zu unterstellen, sie würden in der reaktionären islamistischen Hamas eine legitime Widerstandsgruppe sehen und sie als solche romantisieren.

Für palästinensisches Leid sind viele Linke, die »antideutsch« sozialisiert wurden, bis heute blind und taub. Sie leugnen es unter Verweis auf Pressemitteilungen der israelischen Streitkräfte oder des israelischen Außenministeriums. Oder denken sich die Palästinenser als Volk als Wiedergänger des deutschen Volkes während der Nazizeit aus. Und meinen deshalb großflächige Bombardements für gerechtfertigt oder gar entscheidend im Kampf gegen den eliminatorischen Antisemitismus erklären zu müssen. Dazu wird das Stereotyp, die Hamas müsse nur die verbliebenen israelischen Geiseln freilassen, dann sei der Krieg vorbei, gebetsmühlenartig vorgetragen. Dabei belegt die Tatsache, dass Israel im März den Waffenstillstand in Gaza aufkündigte und damit verhinderte, dass der zweite Teil eines Abkommens mit der Hamas in Kraft treten konnte, das die Freilassung der verbliebenen Geiseln gegen die Freilassung palästinensischer Gefangener vorsah, das Gegenteil.

Es ist der deutsche Philosemitismus, der eigentlich nichts anderes ist als eine Spielart des Antisemitismus, der ihnen die Sicht verstellt. Man legt an Israel schlicht andere Maßstäbe an als an andere Akteure und tut damit genau das, was man jenen unterstellt, die sich gegen Völkermord und Vertreibung der Palästinenser wenden. Letztlich stellen Linke dieser Richtung sich damit an die Seite rechter Israel-Unterstützer in Politik, Springer-Medien und Postillen wie »Nius«.

Doch immer mehr Menschen in Deutschland, die lange geschwiegen haben, tund dies jetzt nicht mehr. Bleibt nur zu hoffen, dass dies den notwendigen Druck auf die Bundesregierung schafft, ihrem Verbündeten in den Arm zu fallen.

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