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Radsport-WM: Alles unter Kontrolle
Die erste Rad-WM in Afrika soll zum Erfolg werden – das ist in Ruanda Staatsangelegenheit
Die letzten Tage verliefen ungewöhnlich in Kigalis Szenebezirk Kimihurura. Nachtschwärmer etwa, die aus der Bar »Sundowner« heraustappten, mussten aufpassen, sich nicht in den Absperrgittern der WM-Rennen zu verfangen. Denn die blieben auch des Nachts über stehen. Gleiches Hindernis für die Jungunternehmer am Morgen, die ihre Onlinegeschäfte im nahen Fika-Café erledigen, einer Art Co-Working-Space mit exzellenter Küche.
Seit 8 Uhr morgens sind in diesen Tagen die Straßen ringsum gesperrt. Nicht einmal die Fahrer der Motorradtaxis kommen durch. Tausende Polizisten und freiwillige Helfer passen auf, dass niemand die Verbote missachtet. »Für uns ist es ein guter Job«, erzählt Sandra, Informatikstudentin an der Universität in Kigali und jetzt als freiwillige Helferin genau an dem Pflastersteinabschnitt postiert, an dem Remco Evenepoel im Zeitfahrrennen der Männer Tadej Pogačar erst ein- und dann überholt hatte. Der Helferjob bringt Sandra nicht nur etwas Geld ein, erzählt sie. »Es macht sich auch gut im Lebenslauf. Es wird dir im Studium angerechnet, und später kann es dir auch bei der Jobsuche helfen«, sagt sie. In staatlich streng durchorganisierten Systemen kann eben alles mit allem zusammenhängen, auch eine Rad-WM mit der späteren beruflichen Laufbahn.
Nur ein paar Pflastersteinwürfe – die selbstverständlich nicht erlaubt wären – von Sandra entfernt weht eine große belgische Fahne. Es handelt sich um die belgische Ecke bei dieser WM. Derek aus der Nähe von Löwen ist schon am frühen Morgen da. »Wir sind ein paar Hundert belgische Fans, weniger als sonst bei der WM üblich. Aber die Anfahrt ist ja auch etwas aufwendiger«, erklärt er »nd«. Gelohnt hat sie sich schon jetzt für ihn. Denn auch er hatte freien Blick auf die Stelle, an der sein Landsmann Evenepoel auf den Pflastersteinen Topstar Pogačar demütigte. »Wir haben viele Fotos gemacht«, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht.
»Hyperstrenge« Polizei
Für den Mitarbeiter einer belgischen IT-Firma ist es bereits die 25. WM, die er besucht. »Ich buche das Ticket immer eine Woche nach dem Ende der letzten WM. Im Oktober ist das Ticket für Montreal 2026 dran«, erzählt er und lacht. Die Weltmeisterschaften an eher exotischen Orten sind für ihn stets die schönsten. »Zweimal Australien, das war toll, auch die Vereinigten Staaten. Und Ruanda jetzt ist ebenfalls besonders.« Bei dieser ersten Afrika-Erfahrung habe ihn besonders die Freundlichkeit der Menschen beeindruckt. Einzige Einschränkung: »Die Polizisten sind hyperstreng. Sie kommen sofort auf dich zu, wenn du nur einen Fuß auf die Strecke stellst«, musste er erfahren.
Störungen durch Demonstranten wie zuletzt bei der Vuelta sind in Ruanda also nicht zu befürchten. Eher im Gegenteil: Israel genießt hier eine hohe Wertschätzung. Dazu tragen als ähnlich empfundene Schreckensereignisse wie der Holocaust an der jüdischen Bevölkerung und der Genozid 1994 in Ruanda bei. Der in Spanien so geschmähte Rennstall Israel Premier Tech hat in Ruanda mit dem »Field of Dreams« auch eine Radsportnachwuchsakademie mit Straßenparcours und Pump-Track-Anlage aufgebaut.
Ruandas Präsident Paul Kagame stellte auf einer Waffenmesse in diesem Jahr stolz die ganze Palette von Handfeuerwaffen bis zu gepanzerten Fahrzeugen vor, die die Rwanda Engineering and Manufacturing Corporation teils in Kooperation mit Rüstungsfirmen aus Israel herstellt. Einige dieser Produkte sollen laut Medienberichten auch aktuell von der israelischen Armee genutzt werden; unklar allerdings ist, ob auch im Gaza-Krieg. Das Akronym der ruandischen Waffenschmiede lautet übrigens Remco. »Remco«-Rufe in Ruanda können also doppelte Bedeutung haben.
WM in Afrika als Motivation
Sportlich waren die Welttitelkämpfe für die Gastgeber bisher nicht sonderlich erfolgreich. Plätze ab 25 sprangen bei den Zeitfahren der Elite- und der U23-Kategorie heraus. Bei den Frauen in der Eliteklasse und der U23 war das immerhin jeweils die beste Platzierung afrikanischer Athletinnen. Ein Teilerfolg also. Ruandas Radsportpräsident Samson Ndayishimiye pflegt ohnehin mehr ins kontinentale als ins nationale Horn zu blasen. Er will die historische erste Austragung einer Radsport-WM auf afrikanischem Boden nicht als einmaliges Ereignis sehen.
»Es muss ein Nach-Kigali geben, weitere Weltmeisterschaften bei anderen afrikanischen Nationen«, sagte Ndayishimiye zu »nd«. Den Ableger des World Cycling Centers (WCC) der UCI in Ruanda, der im Februar eröffnet wurde, sieht er auch als Trainingsstätte für Sportlerinnen und Sportler aus ganz Afrika. Drei Wochen vor der WM waren schon Sportlerinnen und Sportler der Junioren- und U23-Kategorie aus 65 afrikanischen Ländern zu einem Lehrgang im Trainingszentrum versammelt, um sich gut auf die WM vorzubereiten. »Wir haben Trainingsmethodik und auch Kenntnisse in Sachen Renntaktik vermittelt«, erzählte Jacques Landry, Direktor des WCC-Programms, »nd«. »Wir wollen ihnen vor allem viel Motivation für die Zukunft geben«, betonte er.
Einige Teilnehmer des Lehrgangs treten auch bei der Mixed-Staffel am heutigen Mittwoch an. Mit Äthiopien, Benin, Mauritius, Ruanda und Uganda treten so viele afrikanische Teams an wie noch nie in dieser Disziplin. Favorisiert sind allerdings die Nationen um die Einzelweltmeister Evenepoel (Belgien) und Marlen Reusser (Schweiz). Zum erweiterten Favoritenkreis gehören Australien und Frankreich. Die Deutschen rechnen sich eine Jokerrolle aus, wie U23-Fahrer Paul Fietzke sagte.
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