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Deutschland sucht die Abwehrstrategie
Mit der massenhaften Verbreitung kleiner Drohnen wächst der Bedarf zu ihrer Bekämpfung
Mit der Entwicklung leistungsfähiger Lithium-Polymer-Akkus wurde es zur Jahrtausendwende möglich, leichte, leistungsstarke und zugleich erschwingliche Fluggeräte in großem Maßstab zu produzieren. Seither entstehen weltweit senkrecht startende Quadro- und Multikopter in zahllosen Varianten – millionenfach gefertigt, vor allem für den privaten Gebrauch. Mit dem Ukraine-Krieg finden sie explosionsartig auch militärische Anwendung.
Ebenso schnell wuchs jedoch auch der Ärger: Kleine Drohnen fertigen unerlaubte Luftaufnahmen an, schmuggeln Pakete in Gefängnisse oder nähern sich gefährlich den Sicherheitszonen von Flughäfen. Bund und Länder reagierten darauf mit Änderungen im Luftsicherheitsrecht, die EU mit einer Drohnenverordnung. Justizvollzugsanstalten, Bannmeilen und Flughäfen gelten inzwischen als Flugverbotszonen, deren Koordinaten direkt in die Bordelektronik handelsüblicher Drohnen eingespeichert werden. Flogen sie dennoch in diese Sperrgebiete ein, stießen sie an eine unsichtbare Barriere. Inzwischen hat die chinesische Firma DJI – weltweiter Marktführer für Quadrokopter – dieses Geofencing aber abgeschaltet, Pilot*innen werden seitdem nur noch gewarnt.
Trotz solcher Maßnahmen scheint das Problem an Brisanz zu gewinnen: Der Flughafen Kopenhagen wurde vor zwei Wochen nach der Sichtung von »zwei bis drei großen Drohnen« stundenlang geschlossen. Ähnliche Vorfälle gab es in Oslo, Vilnius, Riga und Bukarest. In München wurde der Flugbetrieb vergangene Woche gleich zweimal wegen Drohnensichtungen unterbrochen.
Auch bei kritischen Infrastrukturen häufen sich derartige Berichte. In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern sollen Drohnen militärische Einrichtungen, Rüstungsbetriebe wie ThyssenKrupp, Kraftwerke und Kliniken überflogen haben. In Kiel habe ein Polizist einen »Drohnenverbund mit Mutterdrohne« beobachtet, wusste die »Bild«. Eine ähnliche Formation sei kurz darauf über dem Küstenkraftwerk und dem Nord-Ostsee-Kanal gesichtet worden. Das wäre allerdings ein Novum: Selbst im Ukraine-Krieg, einem Testfeld für alle neuen Drohnentechnologien, wurden derartige Verbünde bislang nicht dokumentiert.
Meist werden die störenden Flüge »dem Kreml« zugeschrieben. Belege dafür gibt es bisher in keinem bekannten Fall. »Unsere Vermutung ist, dass Russland hinter den meisten dieser Drohnenflüge steckt«, legte sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Sonntag in der ARD-Sendung »Caren Miosga« trotzdem fest. Künftig sollten solche Eindringlinge, so Merz, abgeschossen werden können – notfalls auch durch die Bundeswehr. Das Bundeskabinett hat dazu an diesem Mittwoch eine Änderung des Bundespolizeigesetzes beschlossen und ins parlamentarische Verfahren eingebracht.
Um auch der Bundeswehr neue Befugnisse zur Drohnenabwehr im Inland zu geben, könnte laut Merz das Luftsicherheitsgesetz angepasst werden. Rein rechtlich wäre das bereits heute möglich, wenn von den Drohnen eine reale Gefahr ausginge und sie eindeutig einem staatlichen Angreifer zugeordnet werden könnten. Fraglich ist, ob die Bundeswehr künftig auch dann hinzugezogen werden soll, wenn Drohnen mutmaßlich zu Spionagezwecken eingesetzt werden. Bislang fällt dies – außer an Bahnhöfen und Flughäfen – in die Zuständigkeit der Bundesländer.
Bevor gegen unerwünschte Drohnen sogenannte »Wirkmittel« eingesetzt werden können, müssen sie erkannt werden. An Flughäfen liegt die Zuständigkeit für derartige Lagebilder bei der Deutschen Flugsicherung, die Bundespolizei arbeitet ihr zu. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, mit geeigneter Bodensensorik jedes Luftfahrzeug zu identifizieren, das nicht in das reguläre Geschehen gehört – und das weit über das Flughafengelände hinaus.
Erkennungssysteme kombinieren unterschiedliche Technologien: Radare, akustische Sensoren, elektro-optische und Wärmebildsysteme oder auch Verfahren, die Funkverbindungen auf ungewöhnliche Datenmuster prüfen. Die Bundespolizei verfügt seit rund einem Jahrzehnt über solche Systeme. Ob diese an Verkehrsflughäfen in ausreichender Zahl verfügbar sind, macht die Behörde nicht öffentlich.
Zur Verbesserung der Gefahrenanalyse plant Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Einrichtung eines deutschen Drohnenabwehr-Kompetenzzentrums. Es soll die Fähigkeiten von Bund, Ländern und Bundeswehr bündeln, um Informationsaustausch und operative Koordination zu beschleunigen. Sie soll wie die Spezialeinheit GSG 9 bei der Bundespolizeidirektion 11 in Berlin angesiedelt werden. Ergänzend dazu ist ein gemeinsames Forschungsprojekt mit Israel geplant, um die Kapazitäten zur Detektion und Abwehr unbemannter Systeme weiter zu stärken.
Für die Abwehr stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, deren Einsatz sich nach Größe und Geschwindigkeit der anfliegenden Drohnen richtet. Etabliert sind elektronische Gegenmaßnahmen durch sogenannte »Jammer«, die ein Gebiet mit einer »Störglocke« überziehen oder gezielte Impulse aussenden, um Kommunikation und Navigation zu unterbrechen. Drohnen, die nach programmierten Geodaten fliegen, können durch GPS-Spoofing getäuscht und in andere Richtungen gelenkt werden. An Grenzen stoßen diese Verfahren dort, wo Geräte autonom oder mit wechselnden Frequenzen operieren.
Im zivilen Bereich kommen Abfangdrohnen mit Netzen zum Einsatz, die anfliegende Systeme einfangen. Gegen größere Quadrokopter oder Starrflügler sind solche Methoden allerdings kaum wirksam. Hier werden auch von mehreren deutschen Herstellern kinetische Abfangsysteme entwickelt, die mit hoher Geschwindigkeit auf ihre Ziele prallen oder eine Sprengladung zünden. Sie gelten auch in der Ukraine als kostengünstiges Mittel gegen schnelle, teils jetgetriebene Starrflügler-Drohnen.
Für klassische militärische Flugabwehr auf kurze Distanzen verfügte das Heer auch für Drohnen über Gepard-Panzer aus dem Kalten Krieg, die jedoch vollständig an die Ukraine abgegeben wurden. Als Nachfolger hat Rheinmetall den Geschützturm »Skyranger« entwickelt, der mit einer Revolverkanone bis zu 1000 Schuss pro Minute abfeuern kann. Gegen größere Drohnen könnten auch raketengestützte Flugabwehrsysteme zum Einsatz kommen, wie sie US-amerikanische und israelische Rüstungsunternehmen anbieten – deren Munition ist jedoch extrem teuer.
Zudem arbeiten verschiedene Hersteller an Hochenergie-Lasersystemen. Diese sollen gezielt auf anfliegende Drohnen wirken und deren Elektronik oder Antrieb ausschalten. Die Laser gelten als präzise und vergleichsweise kostengünstig, da ein einzelner Schuss nur wenige Euro kostet. Sie eignen sich vor allem zum Schutz stationärer Einrichtungen wie Flughäfen oder Militärbasen, haben jedoch eine begrenzte Reichweite und sind witterungsabhängig.
Wie bei anderen Rüstungsprojekten herrscht auch in diesem Bereich ein harter Wettbewerb um militärische Aufträge. Die deutsche Marine vergab kürzlich 390 Millionen Euro an Rheinmetall für die Entwicklung eines marinetauglichen Laserabwehrsystems. Ein ehemaliger Manager des Konzerns ist heute Vorstandschef des australischen Unternehmens Electro Optic Systems, das ein ähnliches System entwickelt. »Wir könnten doppelt so leistungsstarke Laser bauen, für weniger als die Hälfte des Preises und in kürzerer Zeit«, sagte der Ex-Rheinmetaller der »Financial Times«.
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