Ernst bleiben und schreiben: Lázló Krasznahorkai

Lázló Krasznahorkai ist der zweite Ungar, der den Literaturnobelpreis bekommt

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Große Worte, ahoi: Die Kraft der Kunst inmitten des apokalyptischen Terrors, dafür steht nach Meinung der Jury des Literaturnobelpreises Lázló Krasznahorkai.
Große Worte, ahoi: Die Kraft der Kunst inmitten des apokalyptischen Terrors, dafür steht nach Meinung der Jury des Literaturnobelpreises Lázló Krasznahorkai.

Alle Jahre wieder zittern die Buchhändler im Oktober, wen die Schwedische Akademie zum Nobelpreisträger für Literatur kürt. Bitte Romanautor, bitte nicht zu experimentell, bitte halbwegs bekannt. 2025 entschied man sich in Stockholm für den Lázló Krasznahorkai. Er ist nach Imre Kertesz (2002) der zweite Ungar, der den Preis erhält. Die Jury meint, dass sein »visionäres Werk inmitten des apokalyptischen Terrors die Kraft der Kunst beteuert.« Das sind große Worte, doch Krasznahorkai ist eine gute Wahl im Literaturbetriebsspiel. Viele werden die Verfilmung seines Romans »Melancholie des Widerstands« kennen, den sein Landsmann Béla Tarr 2000 als »Die Werckmeisterschen Harmonien« auf die Leinwand brachte, u. a. mit dem Berliner Schauspieler Lars Rudolph und einem unvergesslichen Walkadaver als Zirkussensation.

Krasznahorkai ist Jahrgang 1954, studierte zunächst Jura in Szeged, dann Literatur in Budapest, wo er lange lebte, bis er Orbán-Ungarn nicht mehr ertragen hat und nach Italien auswanderte, nach Triest. Er ist seit Jahrzehnten ein weltweit erfolgreicher Autor, der auch länger in Berlin lebte und wurde schon mit dem Österreichischen Nationalpreis für Literatur und dem Man Booker International Prize ausgezeichnet.

In seinen Büchern, die in 30 Sprachen übersetzt wurden, geht es oft dunkel zu: In kleinen ungarischen Städtchen machen sich einfach Menschen das Leben zur Hölle. Schwere Schicksale, existenzielle Konflikte, Gewalt und Abgründe – Krasznahorkai macht es sich und seinen Lesern nicht leicht, denn das gibt die Welt für ihn nicht her. Seine Romane und Erzählungen spielen nicht ausschließlich in Ungarn, sondern auch in Japan, New York oder Thüringen. Sein letzter Roman »Herscht 07769« ist im thüringischen Kana angesiedelt, wo ein Naivling sich mit Nazis arrangiert, deren Anführer Bach liebt, bis irgendwann die große Gewalt losbricht und sich die Apokalypse abzeichnet, während Briefe an Angela Merkel unbeantwortet bleiben. Krasznahorkai verzichtet auf Punkte und Absätze, sondern schreibt einen syntaktischen Mahlstrom nieder. »Die Hoffnung ist ein Fehler« ist dem Roman als Motto vorangestellt.

Die dunkle Kuppel der Schwermut über den Leben der gepeinigten Seelen, die komplexen erzählerischen Formen der Moderne — Krasznahorkai auszuzeichnen ist ein Bekenntnis zur sehr ernsten Literatur. Sie ist kunstvoll den Menschen und ihren Zerwürfnissen zugewandt, strebt aber eher eine literarische Universalität denn eine Positionierung in der Gegenwart an.

Erneut verzichtet die Schwedische Akademie darauf, ein politisches Zeichen in der Gegenwart zu setzen. Darüber kann man geteilter Meinung sein. Wer gerne Samuel Beckett oder Thomas Bernhard liest, wird auch viel mit Krasznahorkai anfangen können. Wer von Literatur eine konkrete Haltung erwartet, wie etwa bei Annie Ernaux, die 2022 ausgezeichnet wurde, hat es mit Krasznahorkai wohl eher schwer.

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