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Weitere Grimme-Gewinner lehnen Ehrung ab

Direktorin verspricht offene Debatte und kündigt Fachtagung an. Umstrittener Verein geht auf Tauchstation

Die Autoren Hans Block und Moritz Riesewieck mit der Moderatorin Anja Backhaus bei der Preisrückgabe.
Die Autoren Hans Block und Moritz Riesewieck mit der Moderatorin Anja Backhaus bei der Preisrückgabe.

Die seit Wochen umstrittene Aberkennung einer Ehrung für die junge Nahost-Aktivistin Judith Scheytt hat für einen Eklat beim 25. Grimme Online Award gesorgt. Zwei Preisträger der Auszeichnung für Netzjournalismus, die Regisseure Moritz Riesewieck und Hans Block, nahmen den Preis am Mittwochabend bei der Gala-Veranstaltung nicht an und erklärten dies zehn Minuten lang auf der Bühne. Die Jury wollte sie für ihren kritischen Report »Eternalyou« über KI-generierte Angebote zur fiktiven Kommunikation mit Verstorbenen mit einem Sonderpreis ehren. Diesen ließen Riesewieck und Bloch anschließend auf einem Podest stehen.

Hintergrund der Preisverweigerung ist das Verhalten des Grimme-Instituts zum Fall der Schülerin Judith Scheytt. Ihr wurde der Donnepp Media Award der »Freunde des Grimme-Preises«, den sie für ihre politisch-aktivistischen Videos zum Gaza-Krieg verliehen bekam, im Frühjahr wieder aberkannt – auf Druck des kleinen Vereins »Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit«.

Den Schritt begründete Jörg Schieb, Vorsitzender des Fördervereins, mit einer KI-generierten »Studie« voller Falschbehauptungen. Der selbsternannte »KI-Enthusiast« Schieb warf Scheytt darin Antisemitismus vor. In einem Interview mit dem auch in der Linken umstrittenen Blog »Ruhrbarone« behauptete Schieb: »Die einzige Motivation, etwas gegen Israel – und damit gegen Juden – zu tun, ist Antisemitismus«.

Mit der Entscheidung zur Aberkennung hatte sich Schieb über das Votum der sechsköpfigen unabhängigen Jury hinweggesetzt. Drei externe Mitglieder gaben an, gegen die Aberkennung votiert zu haben. Am Mittwochabend bestätigte die Direktorin des Grimme-Instituts, Çiğdem Uzunoğlu, dieses Vorgehen. Die Entscheidung des Vereins zur Aberkennung sei »formal betrachtet ein Fehler«, sagte sie. Das »nd« hatte hierzu vergangene Woche auch den Freundes-Verein sowie Schieb persönlich um Stellungnahmen gebeten – eine Antwort kam nicht. Schieb betreut auch die Mailadresse des Vereins.

Am Donnerstag veröffentlichten Riesewieck und Block einen offenen Brief zu ihrer Entscheidung, den Preis nicht anzunehmen. Die Autoren bemängeln, dass die Antisemitismus-Vorwürfe teils unbelegt blieben und sich auf eine wissenschaftlich umstrittene Definition stützten.

Der Direktorin Uzunoğlu werfen Block und Riesewieck vor, sich nicht klar von den Vorgängen distanziert zu haben. Statt die Verletzung der Jury-Unabhängigkeit zu benennen, habe das Institut in einer Instagram-Stellungnahme jede Verantwortung zurückgewiesen.

Die Filmemacher fordern den Rücktritt von Schieb, eine lückenlose Aufklärung des Falls durch die Institutsleitung sowie eine grundlegende Debatte darüber, wie sich Antisemitismus-Bekämpfung und Kritik an Israels Gaza-Politik vereinbaren lassen. Das Schweigen des Instituts gefährde dessen Glaubwürdigkeit in einer Zeit, in der Unabhängigkeit journalistischer Institutionen von größter Bedeutung sei.

Der Förderverein »Freunde des Adolf-Grimme-Preises« ist vom Grimme-Institut unabhängig, seine Sitzungen finden aber im Institutsgebäude statt, beide Organisationen teilen sich Ressourcen. Nachdem die Aberkennung des Preises für Scheytt großen Wirbel verursacht hatte, versprach Direktorin Uzunoğlu Änderungen.

Zu Beginn des Festaktes am Mittwoch hatte die Grimme-Chefin den Konflikt selbst angesprochen. Das Institut habe auf den Vorgang keinerlei Einfluss genommen. Die Unabhängigkeit von Jurys werde bei Grimme ohne Ausnahmen respektiert. Sie wolle nun eine offene Debatte zu dem Thema führen und im kommenden Jahr eine »Fachtagung« organisieren. Uzunoğlu kündigte außerdem an, dass das Institut sich künftig organisatorisch vom Förderverein komplett trennen werde.

Der Festakt zum 25. Grimme Online Award fand erstmals im ehemaligen Colosseum-Musical-Theater in Essen statt, das nach dem Willen der Grimme-Chefin Uzunoğlu künftig fester Standort der Preisverleihung werden soll. Neben dem Sonderpreis zeichnete die GOA-Jury aus 26 Nominierungen acht weitere Formate aus. Mehrere prämierte Angebote befassen sich mit Gesundheit und Aufklärung: der Instagram-Kanal »Little Monsters« (WDR) zum Thema mentale Gesundheit, der Tiktok-Kanal »Know & Grow« (SWR für funk), der Fitness-Mythen entlarvt, sowie der Instagram-Kanal »Gynaekollege« des Arztes Mertcan Usluer zur gynäkologischen Gesundheit. Weitere Preise gingen an »Femizide stoppen«, das Morde an Frauen dokumentiert, und »Barrierebrecher«, eine Gruppe von Menschen mit Behinderung.

In der Kategorie Information wurde der Podcast »Parlamentsrevue« ausgezeichnet, in dem Sabrina Gehder Plenardebatten des Bundestags anschaulich erklärt. Einen Preis erhielt zudem »Herbst 89 – Auf den Straßen von Leipzig«, ein Spiel über die Endphase der DDR, sowie Eugen Rochko, der Erfinder des nichtkommerziellen Microblogging-Dienstes Mastodon. Der Publikumspreis ging an das »Zentrum für Politische Schönheit« und dessen Aktion »AfD-Verbot«.

Vor einem Monat hatte bereits der Journalist und Blogger Fabian Goldmann erklärt, nicht mehr zu den Nominierten für den Grimme Online Award 2025 zählen zu wollen. Er war für seinen Blog »Schantall und die Scharia«, der Kritik zur Medienberichterstattung zum Gaza-Krieg und gegen Islamophobie äußert, ausgewählt worden. Goldmann kritisierte ebenfalls eine zu enge Verbindung zwischen den Grimme-Freunden und dem Grimme-Institut. Kurz vor der Preisverleihung am Mittwoch beschloss auch Frag den Staat, auf die Nominierung für sein Demokratie-Tool »Real-O-Mat« zu verzichten. Das Grimme-Institut nahm diese anschließend offline.

Anfang Oktober hatten auch Bilal Bahadır und Çağdaş Yüksel, die für die ZDF-Serie »Uncivilized« im März einen Grimme-Preis erhielten, diesen als Protest gegen die Schmähung der Aktivistin Judith Scheytt zurückgegeben.

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