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Verhaltener Optimismus
Das Abkommen zwischen Israel und der Hamas stößt auf breite internationale Unterstützung
Selten haben Friedensverhandlungen in den vergangenen Jahren so viel Zuspruch gefunden. Israels Finanzminister Smotrich, der den Trump-Plan unverhohlen ablehnt, polterte nach der Unterzeichnung zwar: »Die Hamas muss vernichtet werden.« Doch auch er stellt sich nicht völlig gegen das jetzt vereinbarte Abkommen, mit dem die letzten 49 noch lebenden und toten israelischen Geiseln übergeben werden sollen.
Auch der militärische Anführer der Hamas, Izz al-Din al-Haddad, hatte nach Bekanntwerden der 20 Punkte aus seiner Ablehnung kein Hehl gemacht. Einer Fortsetzung der Okkupation und der Entwaffnung seiner Kämpfer werde er nicht zustimmen, ließ er indirekt über soziale Medien verlautbaren. Dennoch haben die ersten vom ägyptischen TV-Sender Al-Kahhira News gezeigten Aufnahmen Seltenheitswert. Dort ist zu sehen, wie Khalil al Haja, der Leiter der Hamas-Delegation, in bester Laune die Hände zahlreicher prominenter Verhandlungsführer schüttelt.
Zwar hat er offenbar der Entwaffnung und dem Rückzug der Hamas zugestimmt, aber kann auch mit einem großen Erfolg aufwarten. »Die Freiheit zahlreicher politischer Gefangener zu erreichen, war ja die Idee hinter dem 7. Oktober«, sagt der palästinensische Journalist Mohamed Najah, der die Gespräche von Ramallah aus verfolgt. Im unter Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde stehenden Westjordanland sehen viele die Hamas und deren bewaffneten Widerstand kritisch. Doch dass Hamas-Sprecher Khalil al Haja vor den Verhandlungen über den zukünftigen Status des Gaza-Streifens zu einer innerpalästinensischen Debatte aufrief, komme gut an, berichtet Najah.
Wie in Israel herrschen in Ramallah und Gaza-Stadt verhaltener Optimismus, dass der Waffenstillstand dieses Mal tatsächlich langfristig hält.
Die Rolle arabischer Staaten
Omar Rahman vom Middle East Council in Washington glaubt, dass es das Zusammenrücken mehrerer arabischer Staaten und der Türkei war, das die Annahme des Plans durch die Hamas ermöglichte. »Der ursprünglich von Trump veröffentlichte Plan war schrecklich, unannehmbar«, so Rahman gegenüber Al Jazeera. »Während seines Besuchs der UN-Vollversammlung hatte Benjamin Netanjahu den zwischen den Golfstaaten und Trump koordinierten Plan grundlegend verändert.« Trump war mit Netanjahus Version an die Öffentlichkeit gegangen und hatte gerade bei dem kurz zuvor von Israel bombardierten Katar wütende Reaktionen hervorgerufen.
»Der Plan in der jetzigen Form und der nun entstandene Druck auf Netanjahu sind ein Indiz für das neue Selbstbewusstsein der arabischen Staaten«, so Omar Rahman. Auch in den Nachbarländern wird eine neue Dynamik wahrgenommen. Die Kritik wegen fehlender Details in Trumps 20-Punkte Plan ist einem Lob für die neu entstandene Dynamik gewichen. Dass Israel oder die Hamas den Waffenstillstand aufkündigen könnten, ohne von den Golfstaaten oder Washington sanktioniert zu werden, hält kaum jemand für möglich. »Wenn Israel friedlich mit den arabischen Ländern leben will, dann muss es jetzt mit dem Genozid aufhören«, ist aus der saudi-arabischen Delegation in Sharm el Sheik zu hören.
Auch in Europa hofft man, dass mit der Unterzeichnung des Geiselaustauschs ein unumkehrbarer Prozess angestoßen wurde. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert auf der Online Plattform X, das Ende des Krieges müsse den Beginn einer politischen Lösung auf der Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung markieren. In der französischen Hauptstadt kamen am Donnerstag Außenminister zahlreicher Staaten zusammen, um über eine Nachkriegsordnung für den Gazastreifen zu beraten.
In Tel Aviv und Gaza fürchten aber auch viele den Moment, an dem die Waffen schweigen. Viki Cohen, deren Sohn Nimrod seit zwei Jahren in Gaza festgehalten wird, hat Angst, wieder enttäuscht zu werden. »Zu häufig wurde das Versprechen gebrochen, alles für die Freiheit meines Sohnes zu tun. Ich habe Angst, dass etwas schief geht.« Südlich von Gaza-Stadt geht es dem palästinensischen Schriftsteller Akram al Sourani ähnlich. »Alle sprechen jetzt über Gaza. Wir freuen uns, dass die Bomben nicht mehr fallen. Aber mit Tränen in den Augen. Denn von Gaza ist nichts mehr zu sehen.«
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