Wirtschaftsnobelpreise gehen an Ökonomen in Frankreich und USA

Technologischer Fortschritt kann Wachstum erzeugen. Wie dies gelingt, haben die drei diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger untersucht

Das Komitee und die Preisträger
Das Komitee und die Preisträger

Welche Mechanismen stehen hinter nachhaltigem Wachstum? An dieser Leitfrage orientiert sich der Wirtschaftsnobelpreis 2025, dessen drei Träger am Montag in Stockholm bekanntgegeben worden. Es gehe um Kreation und Zerstörung, erklärte Hans Ellegren, Chef der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die den Preis vergibt.

Um den ersten Teil hat sich Joel Mokyr verdient gemacht, der »für die Ermittlung der Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum durch technologischen Fortschritt« ausgezeichnet wird. Der in den Niederlanden geborene Israeli, der an der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois lehrt, hat untersucht, wie und warum Wachstum historisch unterschiedlich verlief. Während die Zeit ab 1300 in Europa durch Stagnation geprägt war, wurde in den vergangenen 200 Jahren stetiges Wachstum des Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes das neue Normal. Als Grund führt der 79-Jährige umbruchartige Makroerfindungen an sowie Wissen, warum etwas funktioniert und was notwendig ist, damit etwas funktioniert. Technik funktioniert. Da der Prozess bestehende Interessen infrage stellt, braucht es laut dem Wirtschaftshistoriker eine Gesellschaft, die offen für neue Ideen ist und Veränderungen zulässt. Bekannt wurde Mokyr mit seinem Buch »The Lever of Riches: Technological Creativity and Economic Progress« (1990), in dem er auch Ansätze der Evolutions- und Erkenntnislehre verwendete.

Mokyr gilt als wichtiger Vertreter der New Economic History. Diese auch Kliometrie genannte, interdisziplinäre Schule war einst angetreten, die auf mathematischen Modellen fußende Volkswirtschaftlehre mit quantitativen Methoden und computergestützter Datenauswertung zu reformieren. Wegbereiter der Kliometrie in der DDR war übrigens Thomas Kuczynski, der langjährigen nd-Lesern gut bekannt ist.

Die andere Hälfte des Nobelpreises erhält das Gespann Philippe Aghion (Collège de France, Paris) und Peter Howitt (Brown University, US-Bundestaat Rhode Island) »für die Theorie nachhaltigen Wachstums durch kreative Zerstörung«. Sie haben das gleichnamige Konzept des österreichischen Nationaläkonomen Joseph Schumpeter (1883–1950) in einer gemeinsamen Veröffentlichung von 1992 zu einem makroökonomischen Gleichgewichtsmodell weiterentwickelt. Darin wird gezeigt, wie Unternehmen in verbesserte Produktionsprozesse und neue Produkte investieren, während die Unternehmen mit alten Produkten vom Markt verdrängt werden. Aus gesellschaftlicher Sicht verschwindet der Wert der alten Innovation jedoch nicht, da die neue auf dem alten Wissen aufbaut. »Ausgestoßene Innovationen haben somit einen größeren Wert für die Gesellschaft als für die Unternehmen, die sie entwickeln, wodurch die privaten Anreize für Forschung und Entwicklung geringer sind als der Gewinn für die Gesellschaft als Ganzes«, erläutert das Nobelpreiskomitee. Die Forscher plädieren daher für staatliche Subventionierung.

Aghion ist glühender Befürworter einer aktiven staatlichen Industriepolitik wie in Frankreich. Der Promi unter den diesjährigen Preisträgern, der gern gesehener Interviewpartner in europäischen Wirtschaftsblättern ist und Präsident Emmanuel Macron berät, hält stabile Institutionen und Kontrolle durch die Zivilgesellschaft für zentral, um wichtige Innovationen wie derzeit die grünen Technologien voranzubringen. Dann könne »Wohlstand und Glück« als Ziel von technologischer Entwicklung erreicht werden, wie er bei der Pressekonferenz in Stockholm telefonisch zugeschaltet sagte. Dass Europa trotz guter Forschungslandschaft bei Künstlicher Intelligenz hinterherhinke, führt er auf mangelnde staatliche Unterstützung im Vergleich zu den USA zurück.

Das Nobelpreiskomitee ergänzt mit Mokyr, Aghion und Howitt seine Auszeichnung von vergangenem Jahr, als drei Forscher ausgezeichnet wurden, die wirtschaftlichen Fortschritt in stabilen politischen Institutionen verorteten. Zeitgemäß stellen sie klar, dass das technologisch gesteigerte Wachstum für sie auch Faktoren wie Bildung, Forschung, Gesundheitsversorgung, Lebensqualität und mehr Freizeit beinhaltet.

Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel verweist in einer Bewertung für »nd« auf den Hauptpunkt des Nobelpreisträger-Trios: dass die Zerstörung von alten zur Schöpfung neuer Technologien die »Peitsche« ist, um das »Zuckerbrot« steigende Renditen zu sichern. »Allerdings drohen durch unternehmerische Machtkonzentration Marktzutrittsbarrieren, wie die Big-Five-Technokonzerne in den USA zeigen. Deshalb müssen Marktbarrieren zugunsten der Newcomer, vor allem Start-ups durch eine ordnende Wettbewerbspolitik gestärkt werden« so Hickel. »Es lohnt sich, die nicht ganz einfach zugänglichen Erkenntnisse der diesjährigen Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft bei der aktuell anstehenden sozial-ökologischen Transformation zu berücksichtigen. Es gilt die derzeitige schöpferische Zerstörung durch den Wechsel von der fossil fundierten Wirtschaft zur Schöpfung einer nachhaltigen Zukunft.«

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