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Ungleiches Erinnern an die Opfer in Nahost
Wolfgang Hübner über den einseitigen Umgang mit den Opfern des Gaza-Kriegs
Wie wird man sich einst an diese Tage, an die letzten zwei Jahre erinnern? An all die Gewalt und das Leiden im Nahen Osten? Vieles deutet darauf hin, dass es ein sehr einseitiges Erinnern sein wird, zumindest in der westlichen Welt. Völlig zu Recht wird man in der Politik und in den meisten Medien regelmäßig der Opfer gedenken, die beim Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 getötet, verletzt und traumatisiert wurden. In viel geringerem Maß wird an die Zehntausenden palästinensischen Toten erinnert werden, und gemeint sind hier nicht die Hamas-Terroristen, sondern die unglaublich vielen vom israelischen Militär getöteten Zivilisten – Frauen und Kinder, Ärzte, Journalisten, humanitäre Helfer. Nicht zu reden von den Verstümmelten und anderweitig fürs restliche Leben Gezeichneten.
Diese palästinensischen, für den Westen zum allergrößten Teil namenlosen Opfer, deren genaue Zahl man wohl nie kennen wird, sind in der vorherrschenden Widerspiegelung des Gaza-Kriegs kaum mehr als eine statistische Fußnote. Die Untaten der Hamas sind gut und erschütternd dokumentiert. Dagegen hat die Allianz der Israel-Unterstützer den Terror gegen die palästinensischen Zivilisten, auch das Aushungern eines Volks lange Zeit nur schulterzuckend hingenommen. Man fühlt sich an das zynische Wort Kollateralschaden erinnert.
Es ist ein Ungleichgewicht, das sich in der emotionalen und teils euphorischen Berichterstattung über den Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln fortsetzt. Und es ist der Anfang einer gefilterten Geschichtsschreibung darüber, in der der ebenso selbstgefällige wie bizarre Auftritt von US-Präsident Trump im israelischen Parlament nur ein grelles Ornament ist. Dabei würden eine gerechte Aufarbeitung aller Verbrechen, eine angemessene Würdigung aller Opfer zu den Voraussetzungen für Frieden und irgendwann einmal Versöhnung gehören. Aber wo ist eine Ausstellung über das Leiden der Palästinenser, wie es sie für die Hamas-Opfer gibt? Wo sind die Gedenkstunden mit politischer und kultureller Prominenz? Wo ist die Einladung zu solchen Anlässen an den palästinensischen Botschafter? Und wer erwartet derartige Dinge ernsthaft in einem Land, in dem man wegen des Tragens palästinensischer Symbole, wegen der Teilnahme an einer Demonstration für die Rechte der Palästinenser von der Polizei verprügelt wird?
Das Zurechtbiegen der Geschichte beginnt jetzt gerade, vor unseren Augen. Es ist die Aufgabe einer demokratischen Öffentlichkeit, das nicht zuzulassen.
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