»Die Berliner SPD ist in der Stadtentwicklung rechts«

Bundestagsabgeordnete Katalin Gennburg (Linke) über ihre Radikalisierung, Wohnungspolitik und linke Politik am Stadtrand

Katalin Gennburg (Die Linke) in ihrer neuen Rolle als Bundestagsabgeordnete.
Katalin Gennburg (Die Linke) in ihrer neuen Rolle als Bundestagsabgeordnete.

Frau Gennburg, mit Ihrem Einzug in den Bundestag im März sind Sie aus dem Berliner Abgeordnetenhaus ausgeschieden. Einer Ihrer letzten Schritte war ja, dass Sie Anzeige gegen den Finanzsenator erstattet haben. Worum geht es da genau?

Der Senat hatte schon 2023, als er ins Amt gekommen ist, angekündigt, dass er die Liegenschaftspolitik neu aufstellen will. Der Streit um den Molkenmarkt, das letzte große Landesgrundstück in der Innenstadt, und dessen soziale und ökologische Entwicklung war eines der Hauptthemen, die ich bearbeitet habe als Stadtentwicklungspolitikerin. Teile der SPD fanden, dass dort Teilprivatisierungen möglich sein müssen, damit die Schickeria Eigentumswohnungen kauft.

Bei einer der vielen Akteneinsichten vor über einem Jahr fand ich einen Hinweis darauf, dass der Finanzsenat und der Stadtentwicklungssenat schon seit Jahren überlegten, wie sie das letzte noch schwebende Restitutionsverfahren für eines der Teilgrundstücke am Molkenmarkt über einen sogenannten Vergleich vor Gericht beilegen können. Dabei geht es um das ehemalige Graue Kloster. Das Landgericht hatte diesen Anspruch schon zurückgewiesen. Der Senat will das Grundstück aber dennoch abgeben, mit der Begründung, das Verfahren solle jetzt einfach mal beendet werden.

Weil man Streit nicht mag, ein Landesgrundstück quasi verschenken? Ich denke nicht, dass das in Ordnung ist! Die Stiftung Graues Kloster, die sich irgendwann gegründet hat und die aus unserer Sicht keinen Anspruch auf dieses Grundstück hat, hat jetzt unter diesem CDU-Senat tatsächlich den Zuschlag für diese Teilgrundstücke bekommen, und dazu noch Geld! Deswegen war die Anzeige wegen Veruntreuung öffentlichen Vermögens, die der Architekturprofessor Philipp Oswalt und ich gestellt haben, absolut notwendig.

Interview

Katalin Gennburg ist Bundestagsabgeordnete aus Berlin. Sie ist Sprecherin für Bauen, Stadt­entwicklung und Tourismus der Links­fraktion. Von 2016 bis 2025 war sie im Berliner Abge­ord­neten­haus und hatte dort die gleiche Funktion inne.

Sie haben hier in Berlin vor allem Stadtentwicklungspolitik gemacht, ein sehr lokales Thema. Wie wollen Sie das jetzt im Bundestag fortführen? Wäre es nicht vielleicht besser, als Expertin hierzubleiben und weiter lokal Politik zu machen?

Ich habe als Stadtentwicklungspolitikerin in den letzten neun Jahren sehr viel gelernt und kann jetzt im Bundestag entsprechend wirken, das ist doch für alle gut. Ich habe mich als baupolitische Sprecherin auch für die Bauwende und den Umbau unserer Städte in Zeiten der Klimakrise eingesetzt, für eine partizipativere Planungskultur und eben auch für eine Neuordnung der Baupolitik des Landes. In Berlin wurde das Schneller-Bauen-Gesetz im vergangenen Jahr diskutiert. Da ging es auch immer darum, dass die CDU gesagt hat, man müsse den »Baumotor« anwerfen, und dafür müsse man das Baurecht deregulieren.

Das gleiche Thema wird jetzt in viel größerem Maßstab mit den gleichen Argumenten auf Bundesebene mit dem sogenannten Bauturbo diskutiert. Die Baupolitik ist aus meiner Sicht die große soziale Frage. Denn wir als Linke wollen natürlich im Bestand die Mieten regulieren. Wir müssen aber auch aktiv darum kämpfen, dass die Neubauten von heute nicht die Probleme und steigenden Mieten von morgen sind. Wenn wir sagen, wir wollen den Gemeindewohnungsbau wie in Wien haben, dann müssen wir die Baupolitik in Deutschland vom Kopf auf die Füße stellen. Diese Auseinandersetzung um die Eigentumsfrage der Produktionsmittel in diesem zentralen gesellschaftlichen Bereich muss auch auf Bundesebene geführt werden und das ist meine Aufgabe.

Sie sind ja so etwas wie eine Spezialistin für überraschende Einzüge in Parlamente. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 haben Sie Ihren Wahlkreis in Treptow-Köpenick entgegen allen Erwartungen gewonnen, und bei der Bundestagswahl 2025 sind Sie genauso überraschend über die Liste in den Bundestag eingezogen.

Das war sogar schon vorher so. Ich habe auch mein erstes Kommunalmandat mit 18 Jahren ziemlich überraschend bekommen. Da war es nämlich auch so, dass ich damals kandidiert habe, weil der Stadtvorsitzende in Falkensee – der leider verstorbene Erhard Stenzel, letzter lebender deutscher Résistancekämpfer – sagte: »Wir brauchen dich für jungen, frischen Wind, kandidier doch!« Und da war das auch nicht ausgemacht. Diese Verbindung gibt es auf jeden Fall bei meinen politischen Mandaten. Die Situation 2024 kann man auch gar nicht mehr vergleichen mit dem, wo wir jetzt stehen. Wir standen 2024 massiv unter Druck. So sehr, dass Journalisten schon nicht mehr mit uns geredet haben, mir permanent erklärt haben, die Partei sei tot.

Wie haben sich die schlechten Umfrageergebnisse in der Partei ausgewirkt?

Es gab letztes Jahr eine krasse Demoralisierung nach innen. Mit den Austritten von früheren hochrangigen Politiker*innen hat sich eine »Rette sich, wer kann«-Stimmung eingestellt. Gleichzeitig gab es aufrichtige Genoss*innen, die gesagt haben: Wir bleiben, und wir machen hier jetzt unseren Job. In der Zeit wurde Die Linke bei Umfragen in Berlin bei sechs Prozent gehandelt. Es gab einen Generationenwechsel. Nicht nur die einen traten aus, andere erklärten, sie treten nicht mehr an. Gleichzeitig traten unglaublich viele neue Genoss*innen in die Partei ein.

Nicht der beste Zeitpunkt, um eine Kandidatur anzunehmen.

Der Bezirksverband Marzahn Hellersdorf kam auf mich zu und fragte, ob ich mir das vorstellen könnte, mit dem Argument, sie bräuchten jemanden, mit dem man deutlich machen könne: Wir meinen es ernst, wir wollen wirklich um das Direktmandat kämpfen. Und wir wollen zeigen, dass wir uns neu aufstellen und eine rebellische Politikerin aufstellen. Ich habe die Kandidatur tatsächlich als Parteiauftrag angenommen. Und wenn dabei am Ende tatsächlich noch ein Sitz im Deutschen Bundestag herauskommt, ist das natürlich eine tolle Belohnung für alles, was man sich ans Bein gebunden hat.

Eine klassische Politkarriere ist ja, radikal in den Parlamentsbetrieb zu starten, mit der Zeit aber immer zahmer zu werden. Sie sagen, dass Sie sich über diese parlamentarische Politik radikalisiert hätten. Wie kann das sein?

Ich bin immer noch der Meinung, wir sind eine Partei, die in den Parlamenten auch reformpolitisch agieren muss und darüber die Gesellschaft verändern. Das hat sich aber für mich nie als Widerspruch dargestellt zum Kampf auf der Straße. Zunächst haben mich mein Studium und die Stadtforschung radikalisiert; ab 2016 hat mich die realpolitische Arbeit im Parlament und in der Regierungskoalition zu immer größerer Klarheit gebracht. Diese Idee eines Rechts auf die Stadt und dass der Stadtraum ein Raum ist, den wir uns aneignen, weil er nicht dem Kapital gehört, sondern der Gesellschaft. Deswegen kämpfe ich auch um jeden Zipfel und jedes Grundstück, sei es das Wasser, sei es die Industriebrache oder sei es der Kampf gegen den Amazon-Tower. Das sind für mich alles Versatzstücke in einem großen Kampf. Ich habe das deswegen auch immer ganz aktiv in meine Partei reingetragen und viele harte Gefechte geführt.

In der Regierung 2016 bis 2023 habe ich gesehen, wie viele Leute umfallen und wie schnell eine institutionelle Logik eben auch politisches Handeln erfasst. Ich selbst bin in dieser Zeit abgehärtet und, ich glaube, auch eine robuste Persönlichkeit geworden, was auch nicht immer schön ist. Aber du musst dich entscheiden, ob du in den Konflikten stehst und sagst: Hier stehe ich, ich kann nicht anders – oder immer wieder Zugeständnisse machst.

In den 2010er Jahren wurde ich in stadtpolitischen Diskussionen angeschrien, weil ich von der PDS war, die die Wohnungsbaugesellschaften verkauft hat. Und ich habe mir deshalb nach meiner Wahl ins Abgeordnetenhaus geschworen, nicht aus dieser Regierung zu gehen und mir dann vorwerfen lassen zu müssen, dass wir wieder etwas gemacht haben, was genauso schlimm ist. Das war für mich wirklich ein mahnendes Bild. Darin war ich vielleicht manchmal zu hart, aber dies ist eben auch der ehrliche Spiegel der Härte dieses patriarchalen politischen Systems, und ich setze mich damit als Feministin dialektisch auseinander.

2026 steht die Abgeordnetenhauswahl an. Für Die Linke ist das eine komplett neue Ausgangssituation. Sie könnte wieder an der Regierung beteiligt sein, vielleicht sogar an der Spitze der Regierung stehen. Alleine wird die Linke aber nicht regieren können, mit den möglichen Koalitionspartnern war das in der Vergangenheit schwer. Insbesondere mit der Berliner SPD, die stadtentwicklungspolitisch eher strukturkonservativ agiert.

In der Stadtentwicklungspolitik ist die Berliner SPD rechts. Deswegen habe ich mich auch in den letzten Jahren leider mit der SPD streiten müssen. Man muss das klar benennen, denn man fragt sich ja immer: Komisch, wir haben die SPD in Berlin in der Regierung und trotzdem werden überall hochpreisige Investorenbauten errichtet? Das ist kein Betriebsunfall. Die SPD in Berlin macht schon seit den 90er Jahren Politik mit dem Ziel der strategischen Aufwertung der Stadt. Zum Beispiel in Mitte teure Neubauten anzusiedeln, damit dort reiche Bürger hinziehen, ist ein Leitmotiv der Stadtentwicklungspolitik der SPD. Dabei muss ihnen auch klar sein, dass sie arme Menschen bewusst verdrängen und die Stadt spalten. Sozialpolitisch ist das, was diese SPD abliefert, wirklich eine Kampfansage. Das hat mich 2021 dazu gebracht, gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen. Nicht, weil ich aus Prinzip gegen Koalitionen bin.

Die Frage für 2026 ist deswegen klar: Welche klaren Pflöcke können wir für eine rote Metropole wirklich einrammen? Nur so können wir nach einer Wahl entlang dieser Pflöcke unsere Inhalte auch durchsetzen in einer möglichen Koalition mit der SPD. Das heißt aber auch, dass wir im Wahlkampf die eigenen Positionen klarmachen müssen, damit die Leute sagen können: Wir wollen das kommunale Wohnungsbauprogramm der Linken und nicht die Investorenpolitik der SPD.

Die Linke steht außerdem in einer ganz klaren Verantwortung, den Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen umzusetzen. Wir müssen uns eigentlich schon jetzt damit auseinandersetzen, dass uns das Kapital in Grund und Boden klagen wird. Wir brauchen deswegen auch starke Bündnisse, die das gemeinsam tragen, und einen guten Plan, wie wir das angehen. Ich glaube, wir sollten das anpacken und jetzt wirklich unsere Arbeit machen.

Die Berliner Genossen haben eine große Aufgabe vor sich.

Auf jeden Fall. Was ja aus diesem unglaublich tollen Wahlergebnis der Bundestagswahl erwachsen ist. Wir leben aber in volatilen Zeiten. Man bekommt Wahlergebnisse nicht mehr auf Jahre garantiert, sondern muss um jedes einzelne Wahlergebnis hart kämpfen. Und wir werden das auch tun. Ich glaube, dass diese Regierungsfrage sich auch stellt, weil in der Stadt so viel kaputtgeht und die Stadt in einem sehr schlechten Zustand ist. Strukturen brechen weg. Gelder werden gekürzt, Lebensqualität geht verloren. Gleicherzeitig hört aber die ganze Immobilien- und Bodenspekulation nicht einfach auf, die Mietpreise steigen trotzdem weiter, und die Arztversorgung nimmt trotzdem rapide ab. Schwimmbäder werden weiterhin geschlossen, die Infrastruktur zerbricht, die S-Bahn fährt immer unpünktlicher. Sich in dieser Gemengelage mit wirklich klugen, glaubhaften Antworten zu etablieren, ist eine große Aufgabe. Das können wir mit radikalen Transformationsprojekten, die einen Ausweg aus der kapitalistischen Verwertungslogik weisen, schaffen und noch stärker werden!

Und wo sehen Sie Ihre persönliche Aufgabe in den nächsten vier Jahren Bundestag?

Ich bin jetzt seit Mai nicht mehr stellvertretende Landesvorsitzende. Das heißt, ich kann mich wieder wirklich auf die Fachpolitik konzentrieren. Eine linke Idee von der Baupolitik der Zukunft entwickeln, Stadtentwicklung, starke Kommunen und eine Mietenpolitik, die wirklich die Wohnungsfrage auch von links beantwortet. Ich habe aber auch einen Wahlkreis übernommen, der leider bei der letzten Bundestagswahl von der AfD direkt gewonnen wurde. Die Aufgabe ist, dieses Direktmandat zurückzuholen. Ich werde mich für die nächsten vier Jahre dieser Aufgabe verschreiben und den harten, rebellischen Widerspruch im Bezirk auch suchen und Kiezkampagnen hier am Stadtrand von Ostberlin organisieren, die Leute organisieren vor Ort, um sie für linke Politik zu gewinnen. Ich glaube, dass wir am Stadtrand extrem viel Potenzial haben für sozialistische Politik.

Die großen Widersprüche der kapitalistischen Stadtverwertung zeigen sich ja durch diese Peripherisierung, die wir gerade erleben. Die Innenstadt ist immer menschenleerer, und am Stadtrand werden im Prinzip alle Konflikte ausgetragen, dort stapeln sich die gesellschaftlichen Widersprüche. Wir werden das proaktiv aufnehmen und sagen, genau deswegen sind wir die Partei für den Stadtrand. Wir sind eigentlich diejenigen, die diese Konflikte übersetzen in politischen Aufbruch und Organisierung, in Widerstand – und da habe ich richtig Bock drauf. Ich freue mich auch auf neue Allianzen. Diese konkreten Widersprüche aus Marzahn-Hellersdorf in den Bundestag zu tragen und für Gerechtigkeit zu kämpfen, ist mein großer Anspruch.

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