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Mut zur Wahrheit: Journalismus unter Druck

Konferenz in Berlin-Kreuzberg diskutiert Gewalt gegen Medien­schaffende und Zensur weltweit

Journalist*innen protestieren im April in Paris gegen Gewalt an Journalist*innen im Gazastreifen und fordern stärkeren Schutz für sie und die Pressefreiheit durch internationale Organisationen.
Journalist*innen protestieren im April in Paris gegen Gewalt an Journalist*innen im Gazastreifen und fordern stärkeren Schutz für sie und die Pressefreiheit durch internationale Organisationen.

Die Pressefreiheit steht unter Druck. Das ist eine oft wiederholte These. Meist mit Verweis auf die USA, wo der amtierende Präsident Donald Trump der Presse immer wahnwitzigere Auflagen macht. So dürfen etwa Journalist*innen, die sich neuen Sprachregelungen verweigern, so den Golf von Mexiko ab jetzt »Golf von Amerika« zu nennen, nicht mehr an Pressekonferenzen des Weißen Hauses teilnehmen. Journalist*innen, die aus dem Pentagon berichten wollen, kann die Akkreditierung entzogen werden, wenn sie ohne Genehmigung Informationen aus dem Kriegsministerium veröffentlichen, selbst wenn diese bereits öffentlich sind. Aber die USA sind nicht die Welt, und auch andernorts ist die Situation für Journalist*innen nicht besser.

Das Berliner Online-Medium »Gegenwind« lädt für den 8. November zu einer Konferenz unter dem Titel »Mut zur Wahrheit« nach Kreuzberg. In mehreren Diskussionsveranstaltungen soll erörtert werden, welche Rolle der Journalismus in Zeiten zunehmender kriegerischer Auseinandersetzungen spielt und welche Spielräume noch bleiben. »Es geht uns primär darum, Journalist*innen, die in den vergangenen Jahren vermehrt unter Repression gelitten haben, eine Bühne zu geben und zu vernetzen«, sagt Maria Kaminski von der »Gegenwind«-Redaktion im Gespräch mit »nd«. Es gehe aber auch darum, ein Publikum zu schaffen, das nicht nur konsumiere, sondern sich selbst als Akteur in einem politischen Kampf begreife.

In einem Panel auf der Konferenz werden die palästinensischen Journalist*innen Ahmad al-Bazz und Faten Elwan diskutieren. »Allein in Gaza wurden während des Genozids Hunderte Journalist*innen vom israelischen Militär ermordet«, sagt Kaminski. Aber Gewalt gegen Journalist*innen habe auch in der Besatzung Kontinuität. Kaminski verweist auf die 2022 im Westjordanland ermordete Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh. Faten Elwan habe eng mit Abu Akleh zusammengearbeitet. Die erfahrene Kriegsreporterin wurde selber bereits zweimal von israelischen Militärs angeschossen.

Ein weiteres Podium läuft unter dem Titel »Haft, Folter, Zensur – Erdoğans Angriff auf kurdische Journalist*innen«. Dort wird Nedim Türfent sprechen, der ehemalige Korrespondent der in der Türkei verbotenen kurdischen Nachrichtenagentur Dicle Haber Ajansı. Mittlerweile lebt er im deutschen Exil.

Auf Ranglisten zur Pressefreiheit ist die Türkei regelmäßig auf den letzten Plätzen. Türfent selber wurde in einem Schauprozess wegen angeblicher »Terrorunterstützung« zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Türkei hat aktuell erneut einen neuen Haftbefehl gegen den Journalisten ausgestellt. Seine Geschichte ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren sind in der Türkei Hunderte Journalist*innen im Gefängnis gelandet. Zuletzt wurden bei einem türkischen Drohnenangriff im Dezember 2024 Nazim Daştan und Cîhan Bilgin in Nordostsyrien getötet.

Für die Organisator*innen der Konferenz stehen die Ereignisse in Palästina und Kurdistan nicht isoliert voneinander. »Wir wollen klarmachen, dass diese Kämpfe miteinander verknüpft sind«, sagt Kaminski. Überall wo sich gesellschaftliche Konflikte zuspitzen, komme es zu Repression und Gewalt, genauso in Deutschland.

Auch die Situation hier wird auf der Konferenz diskutiert. In einem Panel sprechen Nick Brauns, Chefredakteur der marxistischen Tageszeitung »Junge Welt« und Hüseyin Doğru, Gründer der Plattform »Red«, die mittlerweile nicht mehr existiert. Die »Junge Welt« hat erfolglos gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz geklagt. Aus einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag aus dem Jahr 2021 geht hervor, dass der Verfassungsschutz der Zeitung durch Beobachtung und Stigmatisierung gezielt den »Nährboden entziehen« will.

Doğru wurde im Mai dieses Jahres auf Bestreben der Bundesregierung auf die EU-Sanktionsliste gesetzt. Ihm wird vorgeworfen, mit »Red« Teil einer russischen Desinformationskampagne gewesen zu sein und dass die Medienplattform von Russland gezielt zur Informationsmanipulation eingesetzt werde. »Red« habe »enge finanzielle und organisatorische Verbindungen« zu Akteuren »der russischen Staatspropaganda«, heißt es in einem Schreiben von EU-Behörden. Doğru bezeichnet die Vorwürfe als falsch.

Die Organisator*innen der Konferenz sehen aber noch weitergehende Probleme für die Pressefreiheit in Deutschland als solche repressiven Methoden. »Bevor wir anfangen können, über die Extremfälle wie den von Doğru zu sprechen, muss man anerkennen, dass Journalismus in Deutschland nur möglich ist, wenn man bereit ist, bei den großen Medienkonzernen mitzumachen«, sagt Kaminski. Man müsse sich dem dort vorherrschenden Konsens anschließen, um in den Medienhäusern veröffentlichen zu können, das sei die erste Schwelle. »Die Neutralität, die dort gepredigt wird, ist keine Neutralität, sondern erscheint nur so, weil sie sich mit dem Konsens der bürgerlichen Herrschaft deckt.«

»Es geht darum, Pressefreiheit wirklich zu erhalten und zu erkämpfen.«

Maria Kaminski »Gegenwind«

Übrig blieben Nischen für kritischen Journalismus, so Kaminski. »Neutralität ist für uns kein Kriterium, weil wir nicht denken, dass es sie gibt. Kritischer Journalismus muss den subjektiven Charakter der Arbeiterklasse zum Ausgangspunkt machen.« Nur so könne man den Charakter der Gesellschaft erkennen und hinter den Konsens bürgerlicher Medien blicken.

»In dem Moment, in dem dieser Konsens nicht mehr funktioniert, räumt sich der Staat – wie man an den Beispielen von ›Junge Welt‹ und ›Red‹ sieht – immer die Möglichkeit ein, sich in einen willkürlichen Zwangsapparat zu verwandeln.« Kaminski ist sich sicher: »Das wird sich weiter zuspitzen, wenn kritische Journalist*innen keine gemeinsamen Strategien entwickeln, um sich unabhängig von den Mainstream-Medien zu machen.« Die Konferenz sei ein Anstoß in diese Richtung.

»Wir haben uns lange etwas darauf eingebildet zu sagen, wie wichtig Pressefreiheit ist. Und das ist sie auch. Aber sie ist keine naturgegebene Sache«, so Kaminski. In dem Moment, wo Journalist*innen von staatlichen Stellen unter Druck gesetzt werden, müsse es eigentlich selbstverständlich sein, sich solidarisch zu zeigen. »Für andere Journalist*innen sollte das ein mahnendes Beispiel sein: Als Nächstes könnte es mich treffen. Es geht darum, Pressefreiheit wirklich zu erhalten und zu erkämpfen.«

Die Konferenz »Mut zur Wahrheit« findet am 8. November ab 9.30 Uhr im bUm Kreuzberg (Paul-Lincke-Ufer 21, 10999 Berlin) statt. Ticketvorverkauf: https://gegenwind.news/konferenz/

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