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Habersaathstraße: Polizei räumt zwölf Wohnungen in Mitte
In der Habersaathstraße in Mitte werden zwölf Wohnungen geräumt – der Eigentümer will neu bauen
In einem Wagen, etwas größer als ein Einkaufswagen, hat Silke Brey, die Habibi genannt wird, ihre Sachen verstaut. Unter einer Decke in einem Transportkäfig ist ihre schwarze Katze, die miaut, als Brey kurz die Decke anhebt. Breys Wohnung in der Habersaathstraße 48 in Mitte wurde am Montagmorgen geräumt, jetzt steht sie um kurz vor neun Uhr bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt auf der Straße.
»Das kam alles ziemlich überraschend, von einem Tag auf den anderen«, sagt Brey. Nach vier Jahren in der Habersaathstraße droht ihr die Obdachlosigkeit. Was sie machen werde, wenn sie keine Unterkunft für sich und ihre Katze finden wird? »Dann bleibe ich draußen, ich werde mein Haustier nicht abgeben.« Dem »Tagesspiegel« sagte der zuständige Sozialstadtrat des Bezirks Mitte, man werde die betroffenen Personen unterbringen, wenn sie sonst obdachlos würden.
Um das ehemalige Schwesternwohnheim der Charité gibt es seit Jahren Konflikte. Ein Teil des Gebäudes ist seit 2022 von ehemaligen Obdachlosen besetzt. 2006 wurde es für rund 2,2 Millionen aus städtischer Hand verkauft und energetisch saniert. 2017 kaufte die Arcadia Estates Habersaathstraße 40-48 GmbH das Gebäude für rund den zehnfachen Preis. Die derzeitige Eigentümergesellschaft will das Gebäude abreißen und dort neu bauen. Seit Mitte 2024 liegt eine Abrissgenehmigung des Bezirks vor. Doch vor einem Abriss müssten die verbliebenen Mieter*innen ausziehen. Im Haus haben noch mehrere Mieter*innen Mietverträge. Bisher sind alle Versuche gescheitert, gerichtlich Räumungstitel gegen sie zu erwirken.
Am Montag werden dann aber doch zwölf Wohnungen geräumt. Betroffen seien nur Wohnungen ohne gültigen Mietvertrag, teilt ein Polizeisprecher »nd« mit. Die Polizei ist dafür mit insgesamt 130 Einsatzkräften angerückt. Bis auf die Wohnung, in der Brey und ihr Partner waren, seien alle anderen leer gewesen, so der Polizeisprecher weiter. Alle Wohnungen seien dem Eigentümer übergeben worden.
Die Polizei hat bereits um sieben Uhr die Haustür der Hausnummer 48 geöffnet. Eine halbe Stunde später begleitet sie den Gerichtsvollzieher, der die Räumung durchführt, mit Schildern ins Haus. Aus dem Aufgang direkt daneben, der Hausnummer 46, fliegt immer wieder Feuerwerk auf die Straße. Erst mit Trennschleifer, dann mit einem hydraulischen Spreizgerät brechen Polizeibeamt*innen die Haustür auf, sichern das Gebäude und bringen in der Folge mehrere Feuerlöscher aus dem Gebäude.
Begleitet wird die Räumung von Protest. Die Initiative »Leerstand Hab-ich-saath« hatte zu einer Kundgebung aufgerufen, zu der ab sechs Uhr knapp 70 Menschen gekommen sind. Die Kundgebung wird zwar von Polizeiwägen eingekreist, Parolen dringen aber bis zum Haus durch. »Ich frage mich, wo die Leute dann hin sollen und ob der Eigentümer wieder alles kaputt macht«, sagt Nicole Lindner vom Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen zu »nd«.
Zuletzt war im Juli ein Mieter freiwillig ausgezogen. Die Wohnung wurde danach verwüstet, die Fenster wurden aus den Rahmen gerissen. Schon 2023 drang ein privater Sicherheitsdienst in das Gebäude ein, tauschte Schlösser aus und zertrümmerte Wohnungen. Seither haben die Bewohner*innen kein warmes Wasser mehr.
Die Räumung bekommt sehr viel Aufmerksamkeit von Politik und Verbänden. Martha Kleedörfer, Vorsitzende des Linke-Bezirksverbands Mitte, ist vor Ort. »Es ist eine absolute Schande, dass hier Wohnungen geräumt werden«, sagt sie zu »nd«. Man habe in der Bezirksverordnetenversammlung darum gekämpft, dass die Bewohner*innen bleiben könnten. Es folge aber ein Skandal auf den nächsten. »Wir gehen davon aus, dass die Wohnungen und Fenster zerstört werden und die Kälte dann das Haus von innen kaputt macht«, sagt Kleedörfer. Das sei die Strategie des Eigentümers, um dann teuer bauen zu können.
Tobias Schulze, Fraktionsvorsitzender der Linken im Abgeordnetenhaus, pflichtet seiner Parteigenossin bei und übt Kritik am Bezirk. Dieser habe es versäumt, mit dem Eigentümer in eine harte rechtliche Auseinandersetzung zu gehen. »Dass der Bezirk dem Eigentümer bei der Aufwertungsstrategie nicht mehr entgegengesetzt hat, ist politisches Versagen.«
»Wenn sie mich auf die Straße schicken, ist das, als würden sie mir ein Todesurteil geben.«
Benjamin Bewohner Habersaathstraße
Auch die wohnungpolitische Sprecherin der Berliner Grünen-Fraktion, Katrin Schmidberger, ist vor Ort. »Die heutige Räumung in der Habersaathstraße ist ein schwarzer Tag für Berlin und ein sozialpolitischer Skandal«, sagt sie zu »nd«. Niemand dürfe nach einer Zwangsräumung obdachlos werden, schon gar nicht im Winter, so die Grünen-Politikerin. »Es kann nicht sein, dass intakte Wohnhäuser abgerissen und damit auch ihre Bewohner*innen verdrängt werden, nur weil sich ein Eigentümer beim Kauf verzockt hat und nun durch Abriss Rendite machen will.«
Der Druck auf die Mieter*innen steigt nicht nur wegen der Räumung. Ab Ende Oktober soll die Heizung abgestellt werden. Per Aushang hatte der Wärmeversorger »Berliner Energie und Wärme« Ende September mitgeteilt, dass der Eigentümer entschieden habe, die Versorgung mit Fernwärme nicht fortzuführen. Mittlerweile hat der Bezirk Mitte dem Eigentümer eine Frist bis Mittwoch gesetzt, um die Wärmeversorgung sicherzustellen. Andernfalls soll es zu einer Ersatzvornahme kommen. Der Bezirk würde dann für die Heizung in Vorleistung gehen und die Kosten dem Eigentümer in Rechnung stellen.
Und wie geht es weiter? Grünen-Politikerin Schmidberger berichtet »nd«, dass in den kommenden Wochen weitere Räumungstitel vollstreckt werden sollen. Die Bewohner*innen aus den anderen Aufgängen beobachten die Räumung mit Sorge. »Hier sind mehr Polizisten als Leute, die hier wohnen«, sagt Benjamin, der seit fast vier Jahren in der Hausnummer 44 wohnt. »Ich habe schon in einem Zelt gewohnt«, sagt er zu »nd«. »Wenn sie mich auf die Straße schicken, ist das, als würden sie mir ein Todesurteil geben.«
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