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Wie Täterarbeit in Deutschland Fuß fassen kann
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt veröffentlicht ihre bundesweite Jahresstatistik
Im Schnitt alle zwei Minuten wurde eine Person im Jahr 2024 Opfer häuslicher Gewalt – in den allermeisten Fällen eine Frau. Nur die wenigsten gewaltausübenden Personen, meist Männer, nahmen anschließend an einem Programm zur Täterarbeit teil, um die Ursachen ihrer Gewalt zu erkennen und in Zukunft friedlicher zu handeln.
Ein Opfer, 80 Täter
Wie groß diese Lücke ist, zeigt die nun veröffentlichte bundesweite Jahresstatistik 2024 der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt (BAG TäHG). Den insgesamt knapp 266 000 Menschen, die körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt durch Verwandte oder (Ex-)Partner*innen erlebten, standen demnach nur rund 3400 Fälle gegenüber, in denen die gewaltausübende Person eine im Dachverband BAG TäHG angesiedelte Beratung aufnahm. Anders ausgedrückt: Auf jede*n Teilnehmer*in an einem Täterprogramm kommen fast 80 gewaltbetroffene Personen.
Genau wie die Zahlen zur häuslichen Gewalt, bei denen die Dunkelziffer erheblich größer sein dürfte, geben auch die Zahlen der BAG TäHG eher eine Schlagrichtung vor: Schließlich sind nur jene Beratungsstellen erfasst, die dem Dachverband angehören, von diesen wiederum übermittelten lediglich knapp zwei Drittel ihre Daten; aus fünf Bundesländern liegen gar keine Informationen vor. Es ist also davon auszugehen, dass mehr Täterarbeit geleistet wurde als berichtet. Nichtsdestotrotz steht fest: Nur ein sehr geringer Anteil von Menschen, die übergriffig werden, landet in Programmen zur Gewaltprävention.
»In einem Großteil der Fälle werden gewaltausübende Personen nicht in die Verantwortung genommen.«
Linda Conradi Geschäftsführerin der BAG TäHG
»In einem Großteil der Fälle werden gewaltausübende Personen nicht in die Verantwortung genommen und die Ursachen der Gewalt bleiben unbearbeitet«, sagt die Geschäftsführerin der BAG TäHG, Linda Conradi. Eine Folge: Viele Betroffene blieben gefährdet.
Was sich in Deutschland ändern muss
Was muss sich tun, damit sich die Täterarbeit in Deutschland weiter verbreitet?
Ein Teil der Antwort auf diese Frage findet sich in den erhobenen Daten. Daraus geht hervor: Nur jede*r zehnte Täterarbeits-Teilnehmende wird von einem Straf- oder Familiengericht zu dem Programm geschickt. Obwohl Gerichte seit Jahren die Möglichkeit haben, Menschen zur Täterarbeit zu verpflichten, machen sie davon nur wenig Gebrauch.
Die BAG TäHG und der Deutsche Frauenrat fordern deshalb verpflichtende Schulungen für Richter*innen. Außerdem solle eine gerichtliche »Gewaltschutzanordnung«, also etwa ein Kontaktverbot, automatisch mit der Anordnung zur Teilnahme an einem Täterarbeitsprogramm einhergehen.
Beide Vorschläge finden keine Erwähnung in einem aktuellen Gesetzentwurf des Justizministeriums zur »Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung und der Täterarbeit im Gewaltschutzgesetz«, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet. In einem anderen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Gewaltschutzes von vergangener Woche aus dem Bundesrat findet die Täterarbeit überhaupt keine Erwähnung. »Das Potenzial von Gerichten als Zugangsweg in soziale Trainingskurse bleibt bislang unausgeschöpft«, resümiert die BAG TäHG.
Täter zur Arbeit verpflichten
Ohnehin ist die Täterarbeit per Gerichtsbeschluss kein Allheilmittel: Besonders empfänglich für Hilfe seien Gewaltausübende direkt nach der Tat, heißt es von seiten des Dachverbands – zwischen Tat und Justizentscheid vergeht hingegen viel Zeit.
Die BAG TäHG setzt sich daher für einen »proaktiven Ansatz« ein: Dabei nimmt die Polizei bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt die Täterdaten auf und gibt sie an eine entsprechende Beratungsstelle weiter. Nach einer erfolgreichen Kontaktaufnahme kann so die Täterarbeit schnell beginnen.
Zumindest in der Theorie. Derzeit kommt der proaktive Ansatz vor allem in Niedersachsen zum Einsatz. Der nun veröffentlichten Statistik zufolge mündete aber nur etwa jeder fünfte proaktiv übermittelte Fall in ein tatsächliches Beratungsgespräch in Präsenz.
Ein hoher Anteil der Klient*innen breche den Kontakt zur Beratungsstelle vor dem eigentlichen Programmbeginn ab, stellt die BAG TäHG fest. Klare, gesetzliche Regeln zur verpflichtenden Teilnahme an Täterarbeitskursen sollten das ändern, fordert der Verband.
Die Istanbul-Konvention umsetzen
Dass es in vielen Fällen bei einer ersten Kontaktaufnahme bleibt, hat aber auch damit zu tun, dass es in den Einrichtungen an Plätzen und Personal mangelt. Laut einem Bericht des Instituts für Menschenrechte gab es 2022 in vielen Bundesländern zu wenig Personal für die Arbeit mit Gewalttätern – oft nicht einmal eine Vollzeitstelle pro Einrichtung. Die BAGH TäHG bemängelt, dass es insbesondere im ländlichen Raum an Angeboten fehlt.
Dabei trat in Deutschland 2018 die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt in Kraft. In Artikel 16 verpflichtet sich der Gesetzgeber, die Einrichtung von Täterarbeitsprogrammen zu unterstützen. Bereits 2022 stellte ein Expertenausschuss zur Umsetzung der Istanbul-Konvention eine Finanzierungslücke für Täterarbeit in Deutschland fest und appellierte an die deutschen Behörden, »ihre Bemühungen zu verstärken, um (...) die Einrichtung von speziellen Programmen für Täter häuslicher Gewalt im ganzen Land sicherzustellen«.
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