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CDU wie SPD: In der Koalition regt sich Widerstand
Teile von SPD und CDU wenden sich gegen Rechtskurs der Regierung
Die Rechnung geht nicht auf. Jahrelang versuchten die SPD und besonders die Union, die AfD durch Übernahme von deren Themen kleinzuhalten. Härte in der Migrationspolitik, Abschiebungen, Austeritätspolitik – die Strategie sollte beweisen, dass die etablierten Parteien handlungsfähig sind und die »Sorgen der Bürger« ernst nehmen. Doch die AfD bleibt stark, und nun formiert sich in beiden Regierungsparteien Widerstand gegen den bisherigen Kurs.
In der SPD bricht sich die Frustration darüber gleich mehrfach Bahn. Sowohl der den rechten Flügel repräsentierende Seeheimer Kreis als auch die Jusos fordern gemeinsam höhere Erbschaftssteuern als Reaktion auf den Kompromiss beim Bürgergeld. Eine Gruppe um den Abgeordneten Adis Ahmetovic legte einen Acht-Punkte-Plan vor, der bewusst als Kontrapunkt gegen die migrationsfixierten und rassistischen Äußerungen von Kanzler Friedrich Merz gesetzt ist: Sozialarbeit statt Abschiebung, bezahlbarer Wohnraum statt Kulturkampf. Juso-Chef Philipp Türmer geht noch weiter und organisiert ein Mitgliederbegehren gegen die Bürgergeld-Reform.
Doch auch in der Union regt sich Widerstand. In der CDU gründeten der frühere Generalsekretär und rund 30 weitere Christdemokrat*innen die Plattform »Compass Mitte«. Sie kommen überwiegend aus dem Arbeitnehmerflügel CDA, der Klima-Union und der NRW-Kommunalpolitik. Sie kritisieren, die Partei büße unter Parteichef und Kanzler Merz ihre »politische Bandbreite« ein und drohe »ihren Wertekompass zu verlieren«. Statt nur konservativ zu sein, müsse die CDU soziale, liberale und konservative Strömungen vereinen.
Besonders deutlich wird »Compass Mitte« bei der Abgrenzung zur AfD. Die Gruppe fordert eine Verschärfung des Unvereinbarkeitsbeschlusses: Die CDU solle keine Anträge stellen, die nur mit AfD-Stimmen Mehrheiten bekommen können. Zudem spricht sie sich für ein Verbotsverfahren gegen die AfD aus. Zur Begründung heißt es: »Die CDU ist in dem Wissen gegründet worden, dass Faschismus immer nur mit Hilfe von Konservativen an die Macht gekommen ist. Wegen ihrer konservativen Strömungen hat die CDU die besondere Verpflichtung, ihren Konservatismus, den unsere Demokratie braucht, klar abzugrenzen von Rechtsextremismus, der unsere Demokratie vernichten will.« Dies ist ein direkter Verweis auf die Rolle der Konservativen der Weimarer Republik bei der Machtübertragung an Adolf Hitler 1933.
Was beide Bewegungen eint: Sie halten den Rechtskurs für gescheitert. Die AfD werde durch diesen nicht geschwächt, sondern legitimiert. Die »Stadtbild«-Äußerung von Merz – die bewusst vage Andeutung, »Fremde« seien ein generelles Problem – ist das Symbol dieser Strategie.
Doch der Kanzler kann mit seiner Rhetorik offenbar nicht punkten. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa sehen 66 Prozent der Befragten die Regierungsarbeit kritisch. Zufrieden waren nur 25 Prozent und ganze 49 Prozent rechnen damit, dass die schwarz-rote Koalition vorzeitig auseinanderbrechen wird. Nur 39 Prozent glauben, dass sie bis zur nächsten regulären Bundestagswahl 2029 halten wird. In derselben Umfrage rutschte die Union auf 24 Prozent, die SPD erreichte 15 Prozent, während die AfD mit 26 Prozent vorn liegt.
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Hinzu kommt, dass Merz bereits jetzt als schwacher Kanzler gilt, da er Probleme hat, Disziplin in seiner eigenen Fraktion zu bewahren. Rechte Quertreiber in der Union torpedieren regelmäßig Vereinbarungen mit der SPD. So mobilisierten sie gegen die Kandidatin der SPD für einen Richterposten am Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf.
Merz will wiederum beweisen, dass er rechte Politik auch ohne die AfD durchsetzen kann, wofür die SPD jedoch herhalten muss. Sie trug den Kurs bisher mit – aus Regierungsdisziplin. Doch genau diese Disziplin wackelt nun, da die strategische Basis dieser Regierung sie selbst unterminiert. Die innerparteilichen Konflikte sind nicht bloß Ausdruck taktischer Differenzen, sondern einer grundlegenden Identitätskrise beider Volksparteien. Wenn die SPD-Basis ernsthaft rebellieren und die Gruppe »Compass Mitte« an Einfluss gewinnt, droht der Koalition genau das, was die Ampel zu Fall brachte: interne Zersetzung.
Für Merz wird die Lage besonders prekär. Er muss einerseits die rechten Scharfmacher in der Unionsfraktion und nun auch die neue Mitte-Gruppierung beruhigen. Der Kanzler steckt in der Klemme: Seine politische Identität beruht auf Kulturkampf. Zugeständnisse an die Merkel-Erben würden zum Aufbegehren des rechten Flügels führen. Die SPD steht wiederum vor der Frage, ob sie ihre Basis noch ruhigstellen kann oder will, während ihre Umfragewerte unverändert miserabel sind.
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