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Die Linke: Die Antifa-Partei

Jung, großstädtisch, wenig friedensbewegt – Linke hat Mitglieder befragt

Auch dass Heidi Reichinnek im Januar die Linken auf die Barrikaden rief, hat der Partei geholfen.
Auch dass Heidi Reichinnek im Januar die Linken auf die Barrikaden rief, hat der Partei geholfen.

Es gibt viele Annahmen dazu, was etwa 60 000 Menschen bewegt hat, in den letzten zwölf Monaten in Die Linke einzutreten. Die einen behaupten, viele der Neuen kämen aus der Klimabewegung, hätten sich enttäuscht von den Grünen abgewendet. Andere sagen, es sei Heidi Reichinneks »Auf die Barrikaden«-Rede gewesen, die den Boom ausgelöst habe. Den einen Grund für den Erfolg der Linken gibt es wohl nicht. Das wäre zu einfach.

Was es aber nun gibt, ist die Auswertung einer Mitgliederbefragung, die der Parteivorstand zwischen April und Juli durchgeführt hat. 11 500 Mitglieder haben den Online-Fragebogen ausgefüllt; gut 10 Prozent der Mitgliedschaft. Drei Viertel davon sind Neumitglieder, als solche werden in der Auswertung alle gezählt, die nach dem Parteitag in Halle eingetreten sind. Wer davor schon in der Linken war, wird in der Umfrage als Bestandsmitglied gezählt.

In den groben Strukturdaten unterscheiden sich neue und alte Linke kaum. Ein Drittel der Mitgliedschaft lebt in den 14 größten deutschen Städten mit über 500 000 Einwohnern, 20 Prozent in Großstädten mit über 100 000 Einwohnerinnen. In Dörfern und Kleinstädten ist die Partei unterrepräsentiert. Etwa 50 Prozent der Mitgliedschaft ist erwerbstätig. Erwerbslos sind zehn Prozent. Der Anteil an Studierenden und Auszubildenden ist unter den neuen Mitgliedern höher, im Bestand gibt es mehr Rentnerinnen. Interessant ist, in welchen Branchen die Linken arbeiten. 20 Prozent der Neumitglieder sind in Bildung und Erziehung tätig, insgesamt arbeiten 17 Prozent der Mitglieder in diesem Bereich. Bei der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung sind es nur rund fünf Prozent. Etwa 15 Prozent der Linke-Neumitglieder arbeiten im Gesundheits- und Pflegebereich. In der Partei sind es insgesamt 11,8 Prozent. Der Wert liegt knapp unter dem Anteil der in Gesundheit und Pflege Beschäftigten unter allen Beschäftigten. Unterrepräsentiert sind in der Linken-Mitgliedschaft Industriearbeiterinnen und Gewerkschaftsmitglieder. Weniger als fünf Prozent der Linken arbeiten in der Industrie und dem produzierenden Gewerbe. Bei der Gesamtzahl der Erwerbstätigen sind es über 12 Prozent. 7,4 Prozent der Linke-Mitglieder geben an, in einer Gewerkschaft aktiv zu sein, wobei die Autorinnen der Studie einschränken, dass »aktiv sein« von der reinen Gewerkschaftsmitgliedschaft bis zur hauptamtlichen Tätigkeit reichen kann. In der erwerbstätigen Bevölkerung sind etwa 17 Prozent gewerkschaftlich organisiert.

Thesen wie die, dass viele Neu-Linke vorher in der Klimabewegung aktiv waren, bestätigt die Mitgliederbefragung nicht. Frühere Parteimitgliedschaften sind fast überhaupt nicht vorhanden, und in der Klimabewegung sind oder waren nur 0,4 Prozent der Neumitglieder aktiv. Bei den Bestandsmitgliedern sind es 1,5 Prozent. Der Friedensbewegung fühlen sich nur 0,2 Prozent der Neumitglieder zugehörig. Bei den Bestandsmitgliedern sind es 2,3 Prozent. Auffällig ist, je älter die Mitglieder sind, desto friedensbewegter sind sie. Bei den über 60-Jährigen fühlen sich 4,2 Prozent der Friedensbewegung zugehörig. Was in der Mitgliederbefragung bemerkenswerterweise nicht vorkommt, ist die Palästina-Solidarität.

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Das Thema, das alte und neue Mitglieder am stärksten bewegt, ist Antifaschismus. 2,6 Prozent der Neumitglieder und 7,3 Prozent der Altmitglieder geben an, in dem Themenfeld schon aktiv zu sein, wobei auch hier die Spannbreite an Aktivitäten von autonomen Gruppen bis zur VVN/BdA-Mitgliedschaft reicht. Gefragt nach Themen, die sie interessieren, geben 78 Prozent der Neumitglieder an, sich für das Thema Antifaschismus zu interessieren. Bei den Bestandsmitgliedern sind es 60 Prozent. Das Interesse an Antifaschismus ist gleichermaßen hoch, egal wie alt die Mitglieder sind oder welchem Beruf sie ausüben. Während die Mitglieder bei der Frage nach Interessen viele Antworten geben konnten – oft genannt wurden auch Soziales, Bildung und Wohnen –, sollten sie nur ein Thema nennen, zu dem sie in der Partei aktiv werden wollen. Mit 14 Prozent nannten auch hier die meisten Mitglieder den Antifaschismus. Elf Prozent wollen im Bereich Soziales aktiv werden. Alle anderen Themen wurden nur von einer einstelligen Prozentzahl genannt. 20 Prozent der Mitglieder nannten kein Thema.

Die Mitglieder wurden auch gefragt, ob sie in der Partei aktiv werden wollen. Etwa ein Drittel wünschte sich, dafür von der Partei angerufen zu werden. Zwei Drittel können sich vorstellen, sporadisch an Aktionen teilzunehmen. Nur fünf Prozent können sich nicht vorstellen, aktiv zu werden. Zeitlich gehen die Angaben weit auseinander. Etwa 15 Prozent wollen wöchentlich für die Partei aktiv werden, circa 40 Prozent etwa einmal im Monat und weitere 35 Prozent bei einzelnen Aktionen. Bei der Frage, wie sie aktiv werden wollen, gaben 70 Prozent an, dass sie gerne im Hintergrund unterstützen wollen. Etwas weniger wollen bei einzelnen Veranstaltungen helfen oder zu ihren Themen arbeiten. Auf Haustürgespräche, das große Ding im Bundestagswahlkampf, haben nur 18 Prozent der Mitglieder Lust. Interessant ist, dass jüngere Mitglieder unter 30 zu 22 Prozent Haustürwahlkampf machen wollen. Bei den Mitgliedern über 50 sind es nur zehn Prozent. Die Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner sagt dazu: »Wer einmal bei den Haustürgesprächen dabei war, der kommt auch immer wieder. Durch das unermüdliche Engagement der vielen Genossinnen und Genossen wird Politik greifbar und kommt dort an, wo sie wirken muss: bei den Menschen.« Das sei das Fundament für die Partei. Zur Mitgliederbefragung insgesamt sagt Schwerdtner: »Viele Menschen engagieren sich, weil sie den Abbau des Sozialstaats und das Erstarken autoritärer Kräfte in Deutschland und anderswo nicht hinnehmen wollen. Für unsere Mitglieder gehören soziale Gerechtigkeit und Antifaschismus untrennbar zusammen.«

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