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Undemokratische Schuldenbremse
Finnlands Regierungen sollen einen rigorosen Sparkurs umsetzen – ohne Mitsprache des Parlaments
Eine Definition des Neoliberalismus besagt, dass er wirtschaftliche Fragen aus politischen Entscheidungen ausklammert. Genau das geschah nun in Finnland, als sich die Parteien auf die Schuldenbremse einigten. Gemeinsam beschlossen sie, dass das finnische Parlament fortan bei Maßnahmen zur Verringerung der Verschuldung nicht mehr mitsprechen darf. Auch die Bürgerinnen und Bürger können somit nicht mehr durch Wahlen mitentscheiden, wie die Schuldenbremse umgesetzt wird.
Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie: ob nun die französische »L’Humanité« oder die schweizerische »Wochenzeitung« (WOZ), ob »Il Manifesto« aus Italien, die luxemburgische »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«, die finnische »Kansan Uutiset«, der britische »Morning Star« oder »Naše Pravda« aus Prag. Sie alle beleuchten internationale und nationale Entwicklungen aus einer progressiven Sicht. Mit einer Reihe dieser Medien arbeitet »nd« bereits seit Längerem zusammen – inhaltlich zum Beispiel bei unserem internationalen Jahresrückblick oder der Übernahme von Reportagen und Interviews, technisch bei der Entwicklung unserer Digital-App.
Mit der Kolumne »Die Internationale« gehen wir einen Schritt weiter in dieser Kooperation und veröffentlichen immer freitags in unserer App nd.Digital einen Kommentar aus unseren Partnermedien, der aktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Das können Ereignisse aus den jeweiligen Ländern sein wie auch Fragen der »großen Weltpolitik«. Alle Texte unter dasnd.de/international.
Das Linksbündnis war an den Verhandlungen zur Schuldenbremse beteiligt, nicht aber am Abkommen selbst. Das bedeutet in der Praxis wahrscheinlich, dass die Partei in der nächsten Regierung kein Mitspracherecht hat. Denn diese wird mit ziemlicher Sicherheit von den Parteien gebildet, die sich auf die Schuldenbremse geeinigt haben. Obwohl: Bei der nächsten Regierung wird es sich wahrscheinlich ohnehin um eine »haushaltsdisziplinierte« aus Nationaler Sammlungspartei (die amtierende konservative Regierungspartei – d. R.) und der SDP (Sozialdemokratische Partei – d. R.) handeln.
Die Grünen hingegen entschieden sich »mutig« für die Schuldenvereinbarung. Die Partei rechtfertigt dies so, dass damit ein besseres Modell entstanden sei, als es ohne die Grünen möglich gewesen wäre. Dies scheint die Standardantwort zu sein: Die Rechtfertigung für die Übernahme der Politik der größeren bürgerlichen Parteien liegt darin, dass zunächst schlechtere Vorschläge »verbessert« würden. Allerdings scheinen ehemalige Grünen-Wähler die Unfähigkeit der Partei, sich von den Kürzungen der Regierung abzugrenzen, nicht sonderlich zu schätzen.
»Kansan Uutiset« (Volkszeitung) ist seit August 2020 das Organ des finnischen Linksbündnisses Vasemmistoliitto. Zuvor hat sich das 1957 gegründete Blatt als Stimme verschiedener linker Parteien und Parteienbündnisse in Finnland verstanden. Gedruckt erscheint »KU« seit März 2020 als Monatsmagazin; die Webseite wird allerdings täglich aktualisiert. Schwerpunkte der Berichtserstattung sind insbesondere die innenpolitische Entwicklung in Finnland sowie Aktivitäten der linken Parteien und Kräfte.
»Kansan Uutiset« befand sich ursprünglich im Besitz unter anderem von Gewerkschaften, ist aber heute eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Die praktischen Auswirkungen der Schuldenbremse werden sich erst zeigen, wenn ihr Mechanismus umgesetzt wird. Als Vorschlag erscheint sie jedoch bereits jetzt schon als schlechte Idee: Sie schränkt den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum ein, der durch die Euro-Regeln ohnehin bereits begrenzt ist. Schlimmstenfalls wird sie Finnland an ewige Kürzungen binden. Finnlands Wirtschaftspolitik wird nun offiziell als »ökonomische Disziplin« definiert, was ganz praktisch als stetige Verschlechterung der Lebensbedingungen erscheinen wird.
Die finnische Politik braucht eine grundlegende Wende, die nur durch eine Mobilisierung gegen die Sparpolitik erreicht werden kann. Die Regierung von Petteri Orpo hat dem Kultursektor, den Gewerkschaften, Einwanderern und Sozialhilfeempfängern einen Schlag nach dem anderen versetzt. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um in diesem Land weiterhin ein vernünftiges Leben führen zu können.
Dieser Text ist am 27. Oktober in unserem Partnermedium »Kansan Uutiset« (Finnland) erschienen. Er wurde nachbearbeitet und gekürzt.
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