- Kultur
- »Die Probe« von Katie Kitamura
Vorsicht, Fake!
Auf »Die Probe« gestellt: Katie Kitamura lässt in ihrem neuen Roman die Grenzen der Wirklichkeit verschwimmen
Da treffen sich zwei Fremde, sitzen zusammen in einem Restaurant, sie plaudern, ein wenig angespannt. Sie beobachten sich gegenseitig, das erste Glas Alkohol wird schon ein wenig zu früh getrunken. Wer sind diese zwei, die ältere Frau, der junge Mann? Wie stehen sie zueinander? Kann es sein, dass es sich bei diesen beiden, die einander doch ganz unbekannt sind, um Mutter und Sohn handelt?
Eine ungewöhnliche Konstellation entwirft die US-amerikanische Autorin Katie Kitamura in ihrem neuen Roman »Die Probe«, der für den diesjährigen Book Prize nominiert ist. Wir sehen die Welt mit den Augen einer klugen Erzählerin, zur genauen Beobachtung fähig. Souverän beschreibt sie, was sie umgibt. Da bleiben wenige Fragen offen. Zunächst. Sie ist eine gestandene Schauspielerin, die regelmäßig auf der Bühne steht und der eine Filmrolle zu einigem Erfolg verholfen hat.
Sie steht mitten im Leben. Mit ihrem Mann Tomas, einem Schriftsteller, wohnt sie in New York City. Zwei Personen, die geschafft haben, wovon andere träumen: ein freies Leben für die Kunst, trotz aller ökonomischen Notwendigkeiten. Die Kinderlosigkeit scheint ein Preis dafür zu sein, den sie zu zahlen bereit waren.
Und plötzlich erfährt die Sicherheit der Erzählerin eine heftige Eruption. Da sitzt also Xavier, gut aussehend, 25 Jahre jung, ein Schauspielstudent, und behauptet, ihr Sohn zu sein. Im ersten Teil von Kitamuras leichtfüßigem, elegant geschriebenem Roman verfolgen wir die Erschütterungen, die diese Vermutung in der Erzählerin auslöst. Sie ist nicht nur eine exzellente Beobachterin ihrer Umwelt, sondern auch ihrer selbst. Dabei könnte sie sich doch ganz sicher sein, weiß sie doch am besten, dass sie niemals ein Kind geboren hat. Und dennoch bleibt der Kontakt mit Xavier nicht folgenlos.
Im zweiten Teil entspinnt sich ein anderes, ein unerwartetes Szenario. Xavier zieht in die Wohnung von Tomas und der Erzählerin ein. Bald breitet sich auch seine Freundin dort aus. Ein durch Routinen strukturiertes Leben in Zweisamkeit wird jäh aufgebrochen. Neue Beziehungen treten in Konkurrenz zu einer bewährten Zweierbeziehung. Überraschende Hierarchien entstehen.
Die titelgebende Probe findet nicht nur im Vorfeld einer Theaterarbeit statt. Wenn es stimmt, dass wir allesamt Performer unserer zurechtgelegten Rollen sind, müssten auch wir unser Leben zunächst einstudieren und probieren. Wie festgefügt sind Identitäten eigentlich? Entsteht Elternschaft wirklich nur qua Geburt? Haben wir im Leben wirklich nur einen Versuch?
Es scheint naheliegend, dass Kitamura diesen Fragen anhand von drei Persönlichkeiten nachgeht, die auch sonst als Erfinder und Schöpfer tätig sind. Schriftstellerei und Schauspiel werden zur Chiffre für die Bewältigung des Lebens. Warum sollte auf Bücher und Bühne beschränkt bleiben, was sich dort bewährt hat? Am Ende weiß der Leser nicht mit Sicherheit, was Erfindung und was Erfindung innerhalb der Erfindung ist. Eine Fiktion zweiter Ordnung. Ist das ein kleiner Geniestreich? Wohl eher ein alter literarischer Hut.
Der Roman hat eine leicht streberhafte Note. Die furchtbar kluge Erzählerin konfrontiert uns mit dem Umstand, dass wir schwer nur aus unserer Haut können und dennoch ständig im Wandel sind. Identität ist der gerade schwer in Mode befindliche Begriff dafür. Er ist das, was uns beschreibt, aber eben nur in unserer rätselhaften Unklarheit. Bei ihrem Versuch, diese Fragen in Fiktion zu verpacken, schafft es Kitamura nicht immer, alle Klischees zu umschiffen.
Die Welt der Literatur lebt von Wiederholungen und Variationen. In diesem Fall kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, all das bei Max Frisch bereits in elaborierterer Form gelesen zu haben. Katie Kitamuras »Die Probe« ist wie »Mein Name sei Gantenbein« für Eilige, ein wenig verkürzt, wenn auch unterhaltsam und einnehmend geschrieben.
Katie Kitamura: Die Probe. A. d. amerik. Englisch v. Henning Ahrens. Hanser, 176 S., geb., 23 €.
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