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Straßennamen in Berlin: Wer darf Geschichte erzählen?
: Die Schau »umbenennen?!« zeigt Straßenumbenennungen in Berlin – doch die Bewohner*innen kommen nicht zu Wort
»Straßennamen stehen für den Willen, bestimmte Personen, Orte oder Ereignisse als besonders erinnerungswürdig hervorzuheben«, verkündet die erste Tafel der Ausstellung »umbenennen?!« im Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf. Ein nüchterner Satz, der zugleich Erkenntnis und Problem ist. Denn wer bestimmt, was »erinnerungswürdig« ist?
Das Museum widmet sich in der speziell für Marzahn-Hellersdorf erweiterten Ausstellung über Straßenumbenennungen in Berlin einem Jahrhundert autoritärer Machtfantasien am Stadtrand. Sie zeigt, wie Ideologien durch Straßennamen sichtbar werden und wie Herrschaft sich in Schildern und Karten einritzt. Marzahn-Hellersdorf wirkt dabei als ideales Spielfeld, schließlich ist es Traum und Albtraum zugleich. Doch wie all die großen Strategen redet auch die Ausstellung meist an der Bevölkerung schlichtweg vorbei.
Die Geschichte entfaltet sich in zwei Sälen und vier Kapiteln: Eingemeindung, Nationalsozialismus, DDR und Wiedervereinigung. Aktuelle Debatten werden dabei nur am Rand erwähnt. Jedes Zeitalter hat seine Umbenennungen, seine Löschungen und seine Held*innen, die mal zu Vorbildern, mal zu Unpersonen werden. So erfährt man etwa, dass in Kaulsdorf einst eine Straße nach dem Sozialisten Ferdinand Lassalle benannt war, bis die Nationalsozialisten sie nach einem deutschnationalen Lokalpolitiker umtauften. Später kam die DDR, und mit ihr kehrten Sozialisten und antifaschistische Kämpfer zurück auf die Straßenschilder.
Die großen Tafeln und kleinen Videoinstallationen führen durch eine Geschichte voller Widersprüche. Besonders eindrücklich ist der Abschnitt über den Bau der Platte in den 1970er und 1980er Jahren, als aus der verschlafenen Vorstadt die »sozialistische Wohnstadt« wurde. Der neue Stadtteil erhielt Namen jener, die diesen Traum zur Wirklichkeit machen sollten: etwa Allee der Kosmonauten und Maxim-Gorki-Straße.
Leerstellen in der Erzählung
Zugleich zeigt die Ausstellung, wie die DDR-Führung nach und nach versuchte, das Erbe des Kaiserreichs aus dem öffentlichen Raum zu tilgen, und blickt dabei über Namen und Bezirksgrenzen hinaus. Als Beispiel nennt sie den Abriss des Berliner Schlosses, das den neuen sozialistischen Vorstellungen weichen musste.
Doch hier liegt eine Schwachstelle: Nicht erwähnt wird, dass das Schloss durch den Krieg bereits schwer beschädigt war. Und ebenso fehlt die Geschichte des Palasts der Republik, sein Abriss, der Wiederaufbau des Schlosses – das alles bleibt unerzählt.
So erscheint die Wiedervereinigung in der Ausstellung wie ein Aufwachen aus einem Albtraum. Lapidar heißt es: »Viele Straßen erhielten einfach ihren alten Namen zurück.« Am Rande werden kleinere Konflikte erwähnt, doch der damals schon aufkommende Trend, Symbole des Kaiserreichs wiederzubeleben, bleibt außen vor. Zwischen den Zeilen entsteht dabei ein vertrautes Narrativ: Die Diktaturen benannten ideologisch, die Demokratie benennt vernünftig. Das klingt schön, ist aber vereinfacht und teils falsch. Denn auch heutzutage ist jede Benennung ein Akt der Deutungshoheit und gerade die Art, wie die Wiedervereinigung vollzogen wurde, war für viele Bewohner*innen alles andere als ein demokratischer Aushandlungsprozess.
Bewohner*innen kommen nicht zu Wort
So sehr die Ausstellung die Mechanismen der Geschichte seziert, so sehr wiederholt sie sie im eigenen Format. Die derzeitigen Bewohner*innen kommen nicht zu Wort. Keine Stimme aus der Allee der Kosmonauten, kein Zitat aus den Plattenbauten, kein Streit an der Straßenecke.
Nur eine Pinnwand am Eingang lädt Besucher*innen ein, selbst Vorschläge für neue Straßennamen zu machen. Nach über einem Monat hängen dort ein paar Namen, etwa Clara Zetkin und Klaus Baltruschat. Letzterer wurde 1997 in seinem Buchladen in Marzahn von einem Neonazi niedergeschossen, überlebte und verstarb im Juli 2025 im Alter von 91 Jahren. Doch dafür, dass sich die Ausstellung bereits ihrem Ende zuneigt, wirkt diese Form der Beteiligung auffallend leer.
Wer darf Geschichte erzählen?
Das Museum behält damit seinen belehrenden Charakter: Es geht darum, zu lernen und zu reflektieren, nicht zu widersprechen. Eine Pädagogik der Distanz: freundlich und wohlmeinend, doch letztlich so hierarchisch wie die Umbenennungen, die sie untersucht. Zwischen den säuberlich gehängten Schautafeln bleibt spürbar, dass Erinnerungspolitik in Deutschland noch immer ein zentralistisches Geschäft ist. Die großen Deutungen kommen aus der Mitte, die lokalen Geschichten werden von anderen erzählt, aber selten von den Menschen selbst.
Die Ausstellung erzählt viel: über die bäuerlichen Straßennamen der Nationalsozialisten, über die DDR-Führung, die mit neuen Straßennamen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit schaffen wollte. Doch sie verfängt sich in den Mechanismen, die sie kritisiert. Straßenumbenennungen bleiben ein Herrschaftsinstrument und wer über die Geschichte erzählen darf, ebenso.
Die Fragen nach demokratischer Mitbestimmung über den öffentlichen Raum, nach Teilhabe und Geschichtshoheit bleiben offen. Vielleicht sollte eine Fortsetzung schlicht heißen: »Mitbestimmen?!«
Genauso demokratisch wie die Ausstellung selbst sind auch die Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr. An einzelnen Sonntagen ist das Museum ebenfalls geöffnet, aktuelle Angaben dazu gibt es hier.
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