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  • Anti-AfD-Proteste in Gießen

Proteste gegen rechts in Gießen: Junge Brandstifter blockieren

Zehntausende wollen versuchen, den Gründungskongress der neuen AfD-Jugend zu verhindern

  • John Malamatinas
  • Lesedauer: 5 Min.
In den Messehallen Gießen soll der Gründungskongress der neuen AfD-Jugend stattfinden. Bislang gilt am Veranstaltungsort noch ein weitgehendes Demo-Verbot.
In den Messehallen Gießen soll der Gründungskongress der neuen AfD-Jugend stattfinden. Bislang gilt am Veranstaltungsort noch ein weitgehendes Demo-Verbot.

Am kommenden Wochenende steigt in Gießen die größte antifaschistische Mobilisierung des Jahres. Zehntausende Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet reisen an, um sich der geplanten Neugründung der AfD-Jugendorganisation entgegenzustellen. Während konservative Medien und die Stadt ein Szenario aus »Chaos« und Einmarsch »der« Antifa beschwören, stellt sich vor Ort eine andere Frage: Was tun, wenn eine rechtsradikale Partei ungestört ihre Nachwuchskaderschmiede eröffnen darf?

»Wir werden am Wochenende massenhaft Faschist*innen blockieren. Damit leisten wir den notwendigen gesellschaftlichen Widerstand, um Faschismus aufzuhalten«, kündigt die Sprecher*in von »Widersetzen Hamburg«, Noa Sander, im Gespräch mit »nd« an. Mit Buskonvois werden sie und ihre Mitstreiter*innen anreisen. Die alte AfD-Nachwuchsorganisation »Junge Alternative« wurde nach Überzeugung der Antifaschist*innen nicht grundlos aufgelöst. Die Neugründung sei ein »Täuschungsmanöver«, denn die Inhalte hätten sich nicht verändert, sagt der Sprecher von »Widersetzen«, Suraj Mailitafi: »Hass auf Migrant*innen, Queers und arme Menschen, eine ideologische Nähe zu faschistischen Denkfiguren und rechtsterroristischen Milieus«.

»Ihre Funktion als Kaderschmiede des Rechtsextremismus war offensichtlich«, ist auch der Linke-Bundestagsabgeordnete Luke Hoß überzeugt. Er fährt als parlamentarischer Beobachter nach Gießen und will »vor allem der Polizei auf die Finger schauen«.

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Das »nd« ist an diesem Wochenende auch in Gießen – um Zeitungen zu verteilen, um sich mit den Antifaschist*innen zu solidarisieren und natürlich auch, um von den Ereignissen am Wochenende zu berichten.

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dasnd.de/abo

Allerdings galt bis zum Donnerstagabend ein recht weitgehendes Demonstrationsverbot direkt vor den Hessenhallen, in denen der AfD-Jugend-Gründungskongress mit rund 1000 Teilnehmenden am Samstag stattfinden soll. Der Deutsche Gewerkschaftsbund Hessen/Thüringen wollte es kippen, doch das Verwaltungsgericht Gießen lehnte seinen Eilantrag dagegen am Mittwochabend größtenteils ab.

Der DGB wollte aber noch Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof einlegen. »Für demokratische Gegenproteste ist die Möglichkeit, in Hör- und Sichtweite des Anlasses präsent zu sein, von zentraler Bedeutung«, begründete der Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Michael Rudolph, das in der Hessenschau. Die Kundgebungen seien »frühzeitig, transparent und mit einem umfassenden Sicherheitskonzept angemeldet« worden.

Das Gießener Gericht erlaubte am Donnerstag noch eine kleinere Demo mit bis zu 1000 Teilnehmern direkt an der Gießener Messe. Insgesamt werden am Samstag rund 50 000 Demonstrierende erwartet. Die Stadt hat auch etliche wichtige Straßen und Brücken im Zentrum für Autos gesperrt. Die Weststadt, in der das AfD-Treffen stattfindet, soll aus der Innenstadt heraus nicht mehr anfahrbar sein.

»Widersetzen allein verhindert nicht den Faschismus. Aber es ist wichtig, die Neugründung einer rechtsextremen Organisation nicht nur von der Seitenlinie zu beobachten.«

Luke Hoß Bundestagsabgeordneter (Die Linke)

Noa Sander beklagt, die Polizei versuche, die Proteste von vornherein »durch Verbote und Diffamierungen zu kriminalisieren«. Tatsächlich reden der Gießener Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) und die örtlichen Ordnungsbehörden Bedrohungszenarien herbei. Becher rief die Teilnehmer der Proteste am Donnerstag auf, friedlich zu bleiben. Man blicke mit Anspannung auf das Wochenende, für das mittlerweile rund 30 Versammlungen angekündigt seien.

Auch Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) zeigte sich »besorgt« angesichts der »herausfordernden Großlage« in Gießen und der Mobilisierung in der »linken Szene«. Vor Ort werden nach seinen Angaben Polizeihubschrauber, Drohnen, Wasserwerfer und die Pferdestaffel sein. Insgesamt sei eine »mittlere vierstellige Zahl« an Polizeikräften aus 14 Bundesländern sowie der Bundespolizei im Einsatz.

Doch während sich Gießens Verwaltung in juristischen Auseinandersetzungen verliert, entsteht in der Stadt ein Gefüge echter Solidarität. »Die Menschen vor Ort machen so viel krasse Arbeit. Gruppen, die vorher nie zusammengearbeitet haben, sind jetzt vereint«, berichtet Mailitafi.

Zum Demo- und Blockadebündnis Widersetzen gehören Schüler*innenverbände, Gewerkschaften, Kirchen, migrantische Selbstorganisationen, Omas gegen Rechts, linke Gruppen – sie alle mobilisieren gemeinsam. Es steht für »entschlossenen Widerstand, der – wenn nötig – auch Aktionen zivilen Ungehorsams einschließt, um den Aufbau einer faschistischen Organisation in Deutschland nicht einfach geschehen zu lassen«, heißt es auf der Bündnis-Webseite.

Diese Entschlossenheit zeigte Widersetzen bereits bei den Protesten gegen die AfD-Bundesparteitage in Essen und Riesa. Das Bündnis knüpfte damit an Proteste der 2000er und 2010er Jahre an, etwa den erfolgreich verhinderten Anti-Islamisierungskongress der rechtsradikalen Partei Pro Köln 2008 oder an »Dresden Nazifrei«, das die alljährlichen Aufmärsche Tausender Neonazis in Dresden blockierte. Damals führte das Zusammenspiel von Blockaden, zivilgesellschaftlichem Protest und direkten Aktionen zum Erfolg.

Nach Einschätzung von Luke Hoß hat Widersetzen derzeit das größte Mobilisierungspotenzial gegen die Faschisierung der Gesellschaft. Klar ist für ihn aber auch: »Widersetzen allein verhindert nicht den Faschismus.« Es sei aber wichtig, »die Neugründung einer rechtsextremen Organisation nicht nur von der Seitenlinie zu beobachten«. Die Proteste von Widersetzen seien ein Baustein unter vielen in der antifaschistischen Arbeit. Diese müsse im Parlament, in Betrieben – und auf der Straße stattfinden.

Proteste gegen die AfD haben in den letzten Jahren Millionen Menschen mobilisiert, wie die bundesweiten Proteste gegen die Potsdamer »Remigrations-Konferenz« oder gegen das Verletzen der Brandmauer zur AfD seitens der CDU zeigten. Gleichwohl dürften Blockaden und auch ein Verbot der AfD nicht ausreichen, um die Rechtsdrift der Gesellschaft zu stoppen.

Viele Gespräche in den Bussen auf dem Weg nach Gießen werden vermutlich über die AfD-Jugend hinausgehen: Für Sander macht »die zunehmende Kriminalisierung von Antifaschist*innen einmal mehr bewusst, dass wir uns beim Kampf gegen Faschismus nicht auf den Staat verlassen können«. Luke Hoß glaubt aber auch, dass Kriminalisierung antifaschistischen Protests zwar ein »gewaltvolles, aber auch verzweifeltes Mittel« ist. In den USA ebenso wie im Budapest-Komplex oder dem »Antifa-Ost«-Verfahren würden fadenscheinige Argumente genutzt, um verfassungsmäßige Schranken zugunsten der strafrechtlichen Verfolgung politischer Gegner zu umgehen. Maja T., im Budapest-Komplex beschuldigt, wurde beispielsweise verfassungswidrig von Deutschland nach Ungarn ausgeliefert. »Ganz offensichtlich zielt der enorme Aufwand darauf ab, Antifaschist*innen einzuschüchtern«, meint Hoß.

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