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Berliner Schulen: Testen, testen, testen
Der Berliner Senat will Schülerleistungen durch mehr Vergleichsarbeiten verbessern
Es bleibt eine der größten Baustellen der Hauptstadt: Seit Jahren zeigen Berliner Schüler bei bundesweiten Vergleichstests miserable Leistungen. Kaum mehr als die Hälfte der Drittklässler erreichte bei der letzten Vera-Vergleichsarbeit die Mindeststandards im Fach Mathematik; im Bereich Rechtschreibung verfehlten gar 70 Prozent der getesteten Schüler die Mindestanforderungen. Der Befund relativiert sich etwas, wenn man bedenkt, dass in den Vera-Tests bewusst auch Inhalte abgefragt werden, die die Schüler im Unterricht noch nicht behandelt haben, um so das Leistungsbild möglichst differenziert abbilden zu können. Berlin jedoch liegt weit hinter anderen Bundesländern – das demografisch ähnliche, wenn auch deutlich wohlhabendere Hamburg etwa schneidet signifikant besser ab.
So lange, wie Berliner Schüler schon das Schlusslicht der bundesweiten Vergleichstabelle bilden, so lange versprechen die zuständigen Politiker, für Besserung zu sorgen. Nun an der Reihe: Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). »Wir müssen Qualität ganz hoch hängen«, sagte sie am Mittwoch bei der Vorstellung der Qualitätsstrategie des Senats. Berlin sei eigentlich bundesweiter Spitzenreiter beim Verhältnis von Schülern zu Lehrern. Bei den ermittelten Kompetenzen der Schüler spiegele sich das allerdings nicht. »Es muss möglich sein, dass deutlich weniger Kinder die Mindeststandards nicht erreichen«, so Günther-Wünsch.
Um dieses Ziel zu erreichen, will man sich an den Methoden orientieren, mit denen der – zeitweilig auch als Berliner Bildungssenator gehandelte – Hamburger Senator für Schule und Berufsbildung Ties Rabe (SPD) sein Bundesland in die bundesweite Spitzengruppe führte. Kern dessen Konzepts ist die »empirische Wende«. Gemeint ist damit, dass regelmäßig der Leistungsstand der Schüler erhoben wird, um so Entwicklungsdefizite aufzuzeigen und gezielte Förderung anzuberaumen.
Ähnliches soll nun auch in Berlin stattfinden. Für die Schüler bedeutet das vor allem: mehr Vergleichsarbeiten. In allen Klassenstufen bis zur zehnten Klasse und sogar schon in der Kita soll es verbindliche Vergleichstests geben. Damit wird Berlin sogar Hamburg übertreffen, wo derartige Tests nur in den Klassenstufen 2, 3, 5, 7, 8 und 9 stattfinden.
Grundlage für die Tests an Kitas soll das sogenannte BeoKiz-Verfahren sein. Hinter der Abkürzung verbirgt sich der umständliche Titel »Verfahren zur Beobachtung, Dokumentation und Einschätzung im Kita-Alltag: kindzentriert und ganzheitlich«. Im Rahmen des Verfahrens soll etwa geprüft werden, ob die Kinder gerade Linien zeichnen können und wie groß ihr Wortschatz ist. In den Grundschulen folgen dann Vergleichstests mit einem weiteren komplizierten Titel: »Stars« steht für »Stark in die Grundschule starten« und soll basale Kompetenzen in den Bereichen Sprache und Mathematik prüfen. Hinzu kommen die bereits bekannten Vera-Vergleichstests in den Klassenstufen 3 und 8, die nun in den folgenden Jahren noch einmal wiederholt werden sollen, um Lernentwicklungen nachvollziehbar machen zu können.
»Wir wollen Transparenz schaffen«, sagt Günther-Wünsch bei der Vorstellung des Konzepts. Die Testergebnisse sollen den relevanten Akteuren zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehören Stufen- und Schulleitungen, aber auch die Schulaufsicht. Sie sollen die Ergebnisse auswerten und versuchen, leistungsschwache Schüler in passende Förderangebote zu vermitteln. Auch das soll dokumentiert werden: »Es soll hinterlegt werden, welche Schule welche Maßnahme ergreift«, so Günther-Wünsch.
So soll nicht nur geprüft werden, wie sich die Schüler entwickeln, sondern auch, wie effizient die genutzten Förderinstrumente sind. »Bislang haben wir Maßnahmen nie auf ihre Wirksamkeit geprüft«, sagt Günther-Wünsch. Nicht jede Maßnahme sei für jeden Förderbereich geeignet. Eine Evaluation erlaube es, die Instrumente passgenauer anzuwenden und Maßnahmen, die sich nicht bewährt haben, »auf den Prüfstand« zu stellen, wie es in einer Mitteilung des Beirats zur Qualitätsstrategie heißt.
Damit die neuen datenbasierten Methoden an den Schulen auch ankommen, sollen Lehrkräfte flächendeckend für die neuen Aufgaben geschult werden. Diese Fortbildungen sollen verpflichtend sein. Dabei soll das im Januar eröffnete Berliner Landesinstitut für Qualifizierung und Qualitätsentwicklung an Schulen eine zentrale Rolle spielen. »Es geht nicht darum, den Datensatz zu interpretieren, sondern die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen«, sagte Günther-Wünsch zu den künftigen Aufgaben der Lehrkräfte.
»Bislang haben wir Maßnahmen nie auf ihre Wirksamkeit geprüft.«
Katharina Günther-Wünsch (CDU)
Bildungssenatorin
Flankiert werden die datengestützten Verfahren von bereits bekannten Instrumenten, die nun ausgeweitet werden sollen: Dazu gehören etwa die Lesefibeln, die in regelmäßigen, nur etwa viertelstündigen Lerneinheiten im Unterricht genutzt werden, um den Kindern das Lesenlernen zu erleichtern. Sie sollen nun ergänzt werden durch einen Matheband, mit dem regelmäßig Kopfrechnen geübt wird.
Lehrervertreter äußern sich kritisch zu der Qualitätsoffensive. »Wir waren geschockt«, sagt Gökhan Akgün, Landesvorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW, zu »nd«. Für ihn ist die Strategie ein »Ansatz aus dem letzten Jahrhundert«. »Mehr Tests ersetzen nicht die pädagogische Arbeit«, sagt Akgün. Er hält den praktischen Nutzen der Tests für begrenzt. »Die Kollegen kennen die Kids, die wissen, wo es Förderbedarf gibt«, so Akgün. Und die Kinder werden durch die häufigen Testsituationen emotional belastet.
Für Akgün liegt das Problem an einer anderen Stelle: »Die Frage ist: Wer soll das alles leisten?« Die neuen Aufgaben bedeuteten Mehrarbeit für die ohnehin schon überlasteten Lehrkräfte. Es müsse darum gehen, gute Bedingungen zu schaffen, um die Schülerleistungen zu verbessern. »Wir bräuchten eigentlich mehr Lehrkräfte«, so Akgün. Nur so könnten die Lehrkräfte entlastet werden. »Gute Arbeitsbedingungen bedeuten auch gute Bildungsbedingungen.«
Auch den Fokus auf Mathe und Deutsch hält Akgün für gefährlich. »Wir müssen Bildung ganzheitlich denken«, sagt er. Dabei dürfe auch das psychische Wohlbefinden der Schüler nicht aus den Augen geraten: »Nur wer sich wohlfühlt, kann auch gut lernen.«
In Kraft treten sollen die Beschlüsse in den kommenden Jahren: Schon ab 2026/27 sollen die Vera-Tests in den Klassenstufen 3 und 8 verpflichtend werden, ab 2027 dann sukzessive die Leistungsprüfungen an Grundschulen. Bis die Maßnahmen Wirkung zeigen, kann es also noch dauern. Günther-Wünsch rechnet nach eigenen Angaben in sieben bis zehn Jahren mit deutlichen Verbesserungen bei den Schülerleistungen.
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