Organisieren heißt Zuhören

Leiharbeit und Befristungen erfordern neue gewerkschaftliche Antworten – oder doch nicht?

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.
Ob bei der Kleiderkette Hennes & Mauritz oder bei einer Berliner Klinik-reinigung: Kampagnen gegen prekäre Arbeit können erfolgreich sein. Doch die Gewerkschaften, in einer Zeit von Tarifverträgen, Mitbestimmung und Festanstellung groß geworden, reagieren noch langsam auf die veränderte Arbeitswelt.

Es gibt auch positive Beispiele wie bei der Modekette H&M. Besonders in der Logistik werden hier gerne Leiharbeiter eingesetzt; »Das Unternehmen hat teilweise mehr Leiharbeiter als Stammbeschäftigte«, erzählt Betriebsrat Thomas Müsing. Eine andere Betriebsrätin bei dem Modekonzern berichtet über deren Arbeitsbedingungen: Morgens früh einbestellt, wurden sie einfach weggeschickt, wenn es nicht genug zu tun gab.

Es geht nur zusammen

Das ging aber nur solange gut, bis im vergangenen Jahr die Mitarbeiter rebellierten. 80 Leiharbeiter haben seither – immerhin – befristete Verträge. Dabei hielten Stammbeschäftigte und Leiharbeiter zusammen. Das war auch bitter nötig, denn in der Leiharbeitsbranche kommt es immer wieder vor, dass Beschäftigte nicht wieder auftauchen, die sich beschweren, die aufmüpfig werden oder ihre Rechte einfordern.

Auch im Kampf gegen Befristungen gibt es Erfolge. Davon kann etwa Lars Dieckmann berichten, Jugendbildungssekretär bei der IG Bau-Agrar-Umwelt. Er hat die Kampagne für Beschäftigte der Charité-Tochter CMF begleitet, die in der Klinik alle nicht-medizinischen Leistungen erbringt.

Impfschutz als Hebel

Die rund 600 CMF-Reinigungskräfte hatten überwiegend Zeitverträge, zwischen drei und zwölf Monaten. Immer wieder kamen neue hinzu, ohne Impfschutz – auch wenn sie in »kontaminierten Bereichen« wie OP-Sälen und Krankenzimmern putzen mussten. Die strategische Antwort: die Beschäftigten »so teuer wie möglich zu machen«: Wenn der Arbeitgeber den Impfschutz bezahlt, ist er durch diese »Investition« interessiert, sie länger zu halten. Auch hier bewegte sich etwas: Die Verträge von 80 Beschäftigten wurden entfristet.

Ansätze gegen prekäre Arbeit gibt es längst auch bei der IG Metall, die gerade ein Leiharbeiter-Netz knüpft. Ver.di hat mit der Lidl-Kampagne neue Wege eingeschlagen. Dennoch tun sich die bundesdeutschen Gewerkschaften, ein Umfeld von Flächentarifverträgen und hoher Organisierungsquote gewohnt, noch immer schwer mit dem Thema, zumal es schnell an Brisanz gewinnt.

»Dramatisch« nannte etwa die DGB-Vizevorsitzende Ingrid Sehrbrock die Entwicklung prekärer Beschäftigungsformen, als Gewerkschafter jüngst auf einer Konferenz über die »Interessen und Interessenvertretung von jungen Prekären« in Berlin über die neue Arbeitswelt diskutierten. »Wir müssen auch die prekär Beschäftigten bei der Organisierung unterstützen«, forderte Sehrbrock – und räumte gleichzeitig ein, dass »es bei der ein oder anderen Gewerkschaft noch Zurückhaltung in dieser Frage gibt«.

Dieckmann hat in seiner Arbeit gelernt, wieso das so sein könnte. Wer »Organizing« betreibt, also in prekarisierte Branchen einzudringen versucht, bekommt von den Beschäftigten nicht immer zu hören, was er will. Diese definieren ihre Probleme selbst. »Organizing ist 80 Prozent zuhören und 20 Prozent Fragen stellen«, sagt der IG BAU-Sekretär.

Müssen sich die Gewerkschaften konsequent auf solche »flexibilisierten« Arbeitswelten umstellen? Oder würde man so nur Terrain preisgeben? Die Meinungen gehen nach wie vor auseinander. Die einen fordern eine Neuorientierung auf »Organizing«. Andere setzen weiterhin auf Flächentarifvertrag und Sozialpartnerschaft. Die Soziologin Tatjana Fuchs hält dagegen: »Was nutzen uns die besten Tarifverträge, wenn sie durch prekäre Beschäftigung und Unternehmensausgliederungen unterlaufen werden?«

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