Rätselhafte Wahrheit

Filip Florian spürt einem rumänischen Massengrab nach

  • Edith Ottschofski
  • Lesedauer: 3 Min.

In einem römischen Kastell in einem rumänischen Kurort wird ein Massengrab entdeckt. Da erinnert man sich unweigerlich an jenes, das 1989 in Temeswar gefunden wurde. Auch damals wurde fieberhaft geforscht, woher die Leichen stammen. Ähnlich ergeht es den Gestalten in diesem Roman von Filip Florian.

Da ist der Erzähler, der Archäologe Petrus: im Grunde ein wohlerzogener, herzensguter Mensch, der wegen seines Magengeschwürs keinen Kaffee trinkt. Dabei liest doch Tante Paulina, bei der er wohnt, so gerne im Kaffeesatz. Petrus wälzt Archivmaterial, tut sich am Grab um und trifft die eine oder andere Romangestalt, etwa die Witwe von Lord Embury – Eugenia – mit deren Enkelin Jojo er ein Techtelmechtel beginnt.

Außerdem gibt es da den Militärstaatsanwalt Spiru, den Polizeikommandanten, die Journalistin Caterina, Titu Maeriu, Ingenieur in Rente und führendes Mitglied des Vereins ehemaliger politischer Häftlinge, und andere mehr, die herausfinden wollen, was es mit dem Grab auf sich hat. Dazwischen platziert der Autor noch einen skurrilen Fotografen mit einem Dromedar und Onufrie, den »Geschöpften«, dessen Haarpracht so schnell wächst, dass der Schopf sechsmal am Tag geschnitten werden muss. Schließlich lässt er sogar fünf argentinische Anthropologen über ihre Erfahrungen mit der Junta und mit Massengräbern zu Wort kommen. Es gibt einen Exkurs über Fußball, ausschweifend bis in die Satzstruktur hinein. So kreist die Erzählung über das Massengrab herum und es entsteht der Eindruck, dass »im Land alles unter den Teppich gekehrt wird«.

Während diese »konfuse, widersprüchliche Sachlage« abgehandelt wird, so der (selbst)ironische Erzähler im Roman, wird der Irrtum genährt, dass es eine allgemeine Wahrheit gebe. Diese bleibt jedoch rätselhaft und besteht allenfalls aus den »besonderen Wahrheiten« der Gestalten.

Ähnlich wie die auseinanderfallenden Gebeine, die letztendlich doch irgendwie zusammengehören, stellt sich dieser Roman dar. Puzzleartig schreibt sich der Autor an das Thema heran, indem er zum Teil als allwissender Erzähler referiert, zum Teil in die Erzählergestalt, oder gar in die anderen Gestalten schlüpft. Er konstruiert mit subtilem Humor einzelne Szenen, zeichnet Porträts, erzählt Lebensgeschichten, ja sogar eine Heiligengeschichte. Alles nur lose miteinander verbunden. Die Spannung entsteht manchmal nur schleichend durch das Rätsel um das Massengrab, aber auch durch das Rätsel um den Bezug der einzelnen Gestalten dazu. Handelt es sich nun um eine blutig niedergemetzelte Revolte oder um eine Massenhinrichtung aus kommunistischer Ära? Für des Rätsels Lösung sei auf das Buch verwiesen.

Der vielfach ausgezeichnete Roman von Filip Florian, so der Klappentext, wird derzeit in mehrere Sprachen übersetzt. Die deutsche Fassung von Georg Aescht ist jedenfalls gelungen.

Filip Florian: Kleine Finger. Aus dem Rumänischen von Georg Aescht. Suhrkamp Verlag. 269 S., geb., 22,80 €.

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