Unbekanntes Juwel

Hamburger Sternwarte soll Weltkulturerbe werden

  • Britta Warda
  • Lesedauer: 4 Min.
Unbekanntes Juwel

Im Südosten Hamburgs, auf dem Gojenberg in Bergedorf, befindet sich versteckt hinter Bäumen ein historischer Ort ersten Ranges: Die hundert Jahre alte Hamburger Sternwarte. Das Observatorium, das heute zum Fachbereich Physik der Universität Hamburg gehört, hat gute Chancen, in die UNESCO-Liste der Weltkulturerbe-Denkmäler aufgenommen zu werden.

Gebaut zwischen 1906 und 1912 zählt das neobarocke Ensemble aus Kuppeln und Nebengebäuden zu den bedeutendsten astronomischen Anlagen und galt seinerzeit als eines der modernsten Observatorien Europas. Das Innovative und Besondere an der Bergedorfer Sternwarte ist die hier erstmalig vollzogene Trennung von Teleskop- und Arbeitsräumen. »Man hatte erkannt, dass das Flimmern der Heizluft die Sicht und den Betrieb der Teles-kope störte«, erklärt der Astronom Dieter Engels die Bedeutung des historischen Ortes. Die Bergedorfer Sternenwarte zeige in einmaliger Weise sowohl die Astronomie von vor hundert Jahren als auch die von heute. Neben einem voll funktionsfähigen Teleskop aus dem Jahr 1867 findet sich hier moderne Technik: Das Hamburger Robotische Teleskop (HRT) wurde 2002 in Betrieb genommen.

Während man heute Sonnenflecken erforscht und der Frage nachgeht, ob Naturkonstanten wirklich konstant sind oder sich im Laufe der Jahre verändern, hatte die Sternwarte in der damaligen Zeit eine bedeutende Funktion für die Seefahrt. Ihre Aufgabe bestand einerseits in der genauen Zeitmessung und andererseits in der Erstellung von Katalogen mit Sternpositionen, nach denen die Schiffe navigierten. Hier entstanden bis in die 1960er Jahre die in der ganzen Welt bekannten »Bergedorfer Sternenkataloge« des nördlichen Himmels (AGK2 & AGK3). Die Zeitmessung erfolgte durch stundenlange, nächtliche Beobachtung der Sterne. Durch elektrische Impulse wurde die gemessene Zeit auf einen Zeitball übertragen, der sich an der Kehrwiederspitze im Hafen befand. Die Kapitäne konnten den weithin sichtbaren Ballon fallen sehen und stellten ihre Schiffs-Chronometer danach.

Seit 1826 befand sich das Hamburger Observatorium in der Nähe des Hafens am Stadtwall – dort wo heute das Museum für Hamburgische Geschichte steht. Ende des 19. Jahrhunderts wurde aufgrund zunehmender Licht- und Luftverschmutzung eine Verlagerung des Standortes notwendig. Das damals noch eigenständige Bergedorf bekam den Zuschlag wegen der bestehenden Eisenbahnverbindung.

Als Touristenziel ist die Sternwarte bisher völlig unbekannt. Selbst den meisten Bewohnern des Stadtteils ist nicht bewusst, welcher historische Schatz sich in unmittelbarer Nähe befindet. Um das 1996 unter Denkmalschutz gestellte und 2008 zum Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung eingestufte Areal in den Focus der Öffentlichkeit zu rücken, ist die Einrichtung eines Besucherzentrums geplant. Mit einer Ernennung der Sternwarte zum Weltkulturerbe könnte sich der Bezirk Bergedorf weltweit profilieren und auch finanziell profitieren.

Alle Gebäude und die technische Ausstattung sind vollständig erhalten, befinden sich aber zum Teil in einem renovierungsbedürftigen Zustand. Die Anlage wird derzeit mit Hilfe der Bundesregierung und Stiftungsgeldern nach und nach saniert, um die Chancen für die Bewerbung bei der UNESCO zu erhöhen. Doch es wird nicht einfach, auf die Liste zu kommen, denn die Organisation ist sehr wählerisch mit der Vergabe der Auszeichnung. Nach Möglichkeit soll der Titel sowohl geografisch als auch thematisch gleichmäßig verteilt werden. Da es bisher kaum Technische Denkmäler auf der Liste gibt, passt die Sternwarte thematisch sehr gut ins Konzept.

Das Problem: Etwa die Hälfte der insgesamt 700 ausgezeichneten Kulturstätten befindet sich in Europa. Die UNESCO hat deshalb ein großes Interesse, den Titel an einen anderen Kontinent zu vergeben. Aus diesem Grund hat man sich in Bergedorf auf die Suche nach Internationalen Partnern gemacht. Der Antrag soll gemeinsam mit anderen historischen Sternwarten gestellt werden. Im Gespräch sind Nizza (Frankreich), La Plata (Argentinien) und die Sternwarte in Buenos Aires, die als Hauptantragsteller ins Rennen gehen soll, um ein Dritte-Welt-Projekt daraus zu machen.

Derzeit arbeitet die Hamburger Kulturbehörde an einem für die Bewerbung notwendigen, 250 000 Euro teuren Gutachten. Man hofft, dass die Sternwarte 2014 in die Welterbeliste aufgenommen wird. Dieter Engels ist skeptisch: »Es kann noch gut zehn Jahre dauern, bis eine Entscheidung fällt.«

Der Besuch in der Hamburger Sternwarte wird zu einer Zeitreise. Zu bestaunen ist u. a. ein sogenannter Beobachtungsstuhl aus dem Jahr 1867.
Der Besuch in der Hamburger Sternwarte wird zu einer Zeitreise. Zu bestaunen ist u. a. ein sogenannter Beobachtungsstuhl aus dem Jahr 1867.
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