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Italienische Sehnsucht
Gianni Celati: »Was für ein Leben!«
W as für ein Leben!«, so der doppeldeutige Titel dieses Erzählungsbandes von Gianni Celati. Ein gutes Leben oder ein schlechtes, ein großartiges oder ein sinnloses?
Bei der Betrachtung des Fotos auf dem Buchumschlag denkt man: ein gutes Leben. Es zeigt einen kleinen, sauber gepflasterten Hof, rote Häuser, einen Jungen auf einem Fahrrad und in der Sonne hängende Wäsche. In den Erzählungen selbst spielen freilich weder der blaue Himmel noch die in der Sonne hängende Wäsche eine große Rolle. Angesiedelt sind sie in der Nachkriegszeit, als der Erzähler (wie auch Celati selbst) zur Schule ging.
Es ist eine Zeit, in der Armut noch existenziellen Charakter hatte und Leute ohne Arbeit hungern mussten. Wobei allerdings die meisten der Schüler, die mit dem Erzähler auf das Gymnasium gingen, aus besseren Verhältnissen kamen. Und es gab für die Jungen genügend Zeit, ein »Leben auf der Weide« zu führen, wie der Titel der ersten Geschichte lautet. Gemeint ist damit das endlose Herumstreunen durch die Straßen der Stadt, ohne Ziel und immer auf der Flucht vor der Langeweile. Eine Tätigkeit, die sich bei den Erwachsenen im Café »Commercio« fortsetzt – im Sehen und Gesehenwerden.
Im Blick zurück auf die Kindheit ordnet sich vieles. Andererseits wird der Schrecken der Zeit und der Verhältnisse deutlicher, von dem das Kind noch nicht alles weiß. Und natürlich ist dem Erzähler der Ausgang der Schicksale bekannt. So wird gleich zu Anfang gesagt, dass Pucci, einer der drei Freunde, nie den Weg von der »Weide« finden wird: Er landet in der Psychiatrie. »Was für ein Leben!«, fragt sich am Ende der Erzähler. »Wie viele Jahre geredet und geredet! Wie viele Wörter in den Wind gesprochen!«
Es war letztlich ein Dasein in provinzieller Enge. In der ein »eingezwängter« Angestellter nicht nur unglücklich in einer Bank arbeiten muss, sondern auch mit der Welt seiner Frau nichts anzufangen weiß und deshalb beginnt, Geschichten von einem ins Leben eingezwängten Bankangestellten zu schreiben. Das geht eine Weile gut, und die Lokalzeitung druckt seine Geschichten auch ab, endet aber damit, dass er seinen Job verliert und seine Ehe ruiniert.
Was Celati an all diesen Geschichten wohl am meisten interessiert hat, ist der Ausbruch aus den engen Verhältnissen. Das gilt auch für die Privilegierten der Stadt. Der Vater einer Klassenkameradin, der als Leiter des »Aufsichtsamtes für Landwirtschaft und Trockenlegung der Sumpfgebiete« nicht gerade viel zu tun hat, verschwindet plötzlich auf einer Dienstreise nach Rom. Später, als alle ihn für tot halten, taucht er als Gärtner in einem Schweizer Kurort auf, seinen Privilegien, die ihn nur eingeengt haben, glücklich entkommen. Als seine Tochter davon erfährt, freut sie sich, denn sie habe ihn als »dämlichen Familienbeschädigten betrachtet, während er jetzt als einer der wenigen dastehe, die es geschafft hätten, aus dieser Falle herauszukommen«.
Und doch bedienen die Geschichten beim Leser die Sehnsucht nach dem italienischen Leben. Das mag einerseits an der Distanz liegen, die die Zeit schafft; andererseits an der Form der Kindheitserinnerung, die schwer vor der Gefahr der Nostalgie zu schützen ist. Die Geschichten irritieren nicht, der Leser wird nicht mit dem Horror überrascht, der einigen Schicksalen innewohnt. Am Ende wird er das Buch beruhigt zuschlagen.
Gianni Celati: Was für ein Leben! Episoden aus dem Alltag der Italiener. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Wagenbach. 176 S., geb., 19,90 €.
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