Der Unbeugsame

Jens Rosteck legt die erste umfassende Biografie des Komponisten Hans Werner Henze vor

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Vorweg sei gesagt: Was Jens Rosteck anbietet, ist die erste wirklich ausführliche, umfassende Biografie des Meisters. Henze als Person, sein buntfarbenes Werk, sein politisches Engagement sind inzwischen weltweit ein Begriff. Rosteck holt weit aus und beschreibt, gleichsam resümierend, die Mannigfaltigkeit der internationalen Rezeption des Henzeschen Werkes. Dazu fügt er im Anhang eine Chronologie, die eine Überschau über Leben und Werk ermöglicht.

Rosteck beschränkt sich in der Beschreibung von Henzes Werdegang keineswegs auf die »Hochkultur«, ein so schillernder wie problematischer Begriff, also auf Opern, Orchestermusiken, Ballette, Kammermusiken, komponiert für den traditionellen Konzertsaal. Er bezieht das ganze Spektrum ein, dessen sich Henze bedient hat: des Komponisten Sinn, für Kinder Musik zu schreiben, etwa mit der Oper »Pollicinio«. Sein Interesse, Festivals zu gründen und so lange in Gang zu halten, bis sich Nachwuchs findet, dieselben dauerhaft weiterzuführen. Beispiel: das Festival in Montepulciano nahe seinem Wohnort Marino in Italien, wo er seit Langem lebt, das sich in den 70er Jahren als ein ausgesprochenes Festival für politische Musik erweist.

Sodann charakterisiert der Autor Henzes großzügigen, luftigen Kunstbegriff, sein Herz für die exotischen Farben von Volkstraditionen, seine Bereitschaft, Musik jenseits des Etablierten aus Ländern, die er bereist hat, in Augenschein zu nehmen und zu verarbeiten. In Kuba etwa, das der »rote Henze« oder der »Salonkommunist Henze«, wie ihn die zentralen Feuilletons über Jahrzehnte weg titulierten, 1969/70 mehrmals bereiste.

Jens Rostecks Biografie ist zugleich eine eminent politische Biografie. Das ließ sich auch nicht anders bewerkstelligen. Denn Henze ist neben Dessau, Nono, Schenker und anderen Modellfall eines politisch denkenden, fühlenden, arbeitenden Komponisten. Daran führte kein Weg vorbei. Und das wollte Rosteck auch nicht. Im Gegenteil.

Auf den politischen Pfaden, einschließlich der Schwierigkeiten und Schmähungen, die dem Künstler fortdauernd entgegenschlugen, wandelt der Autor, Henzes Leben an der Hand, mit und erhellt sie. Er beschreibt die Umfelder und Zusammenhänge jener »Musica impura«, die der Komponist in Abgrenzung zum »L'art pour L'art«- Anspruch mancher serieller Neutöner vehement vertrat. Er fragt kritisch nach den gesellschaftlichen Antagonismen im von Henze ungeliebten Deutschland West, das sein Protagonist unter Schmerzen früh verlassen hatte, und dem dieser sich erst wieder positiv zuwandte, als dort die Verhältnisse knirschten. Je mehr der Komponist die emanzipatorische Bewegung der 68er unterstützte, je mehr löckte er alle Stachel im bundesdeutschen und Westberliner Kulturbetrieb. Erst recht, als herauskam, dass er dem Freund Rudi Dutschke in ärgster Not Wohnstatt in Marino gab, und fortan die Journaille das Haus umzingelte.

All das führt die Biografie bis in letzte Einzelheiten vor. Auch die kubanischen Erfahrungen, festgehalten in einem der Henze-Tagebücher, nehmen bei Jens Rosteck eine akzentuierte, nicht unkritisch behandelte Stellung ein.

Henze musste wegen seines sozialen Engagements – dies führt wie ein roter Faden durch die Biografie – manches Mal Spießruten laufen vor Ideologen des Establishments oder linksradikalen Vollidioten, die noch dessen engagierte Kompositionen als Tempelgüter des Großkapitals brandmarkten. Das passierte seit dem Verbot der Uraufführung des Oratoriums »Das Floß der Medusa« in Hamburg 1968 immer häufiger. Rosteck beschreibt den Hamburger Skandal minutiös, genauso die darauf folgende Welle der Anfeindungen gegen Komponist und Werk und die Unbeugsamkeit Henzes.

Aber seine Parteinahme für den Komponisten, so leidenschaftlich sie sich ausspricht, ist nur gefühlsmäßig. Rosteck verharrt letztlich in der Rhetorik des Kalten Krieges, statt sie zu überwinden. Er historisiert, indem er die Erscheinungen von ihrem Ende her aufzäumt und wertet. Auf diese Weise frönt der Autor, anders als die Gestalt, die er zeichnet, dem Zeitgeist. Gleichfalls kennzeichnend: Subjektive Stimmungen, widersprüchliche Gefühlslagen, atmosphärische Schwankungen im Seelenhaushalt seines biografischen Subjekts huschen über manche Seiten des Buches, was der Sache eher abträglich ist.

Auch scheint der Blick des Autors auf Henzes Wirken in der DDR getrübt zu sein. Er erwähnt zwar Auftritte etwa in der Komischen Oper Berlin, aber die wichtigste, nämlich die Wiederaufführung von Henzes »Floß der Medusa« 1975 unter Anwesenheit des Komponisten in Leipzig – sie besorgte Herbert Kegel mit seinen Leipziger Rundfunkklangkörpern – bleibt ungenannt. Substanzielle Bemerkungen über Henzes Freundschaft mit Paul Dessau und seine Beziehungen zu Neutönern in der DDR fehlen gleichfalls. Warum? Vorbehalte sind es offenbar, die ihn davon abhalten, ein Malen in Schwarz-Weiß. Einschließlich der Sicht auf einen Staat, in dem die Menschen eingepfercht waren. So heißt es, auf die Zeit um 1970 bezogen, verallgemeinernd: »Die denkenden, kritischen Menschen in den kapitalistischen Staaten sehnten sich nach einem utopischen Sozialismus, die eingepferchten in den kommunistischen hatten längst die Nase voll davon.« Die würden zu den Demos am 1. Mai in der Pflicht stehen, Beifall zu klatschen und die Nationalhymne abzusingen. Was Rosteck, auf die DDR gemünzt, eigentlich als ein Widerstandsakt hätte werten müssen, denn der Text der DDR-Hymne stand seinerzeit längst auf dem Index.

Grundzug der Biografie, die auf musikalische Analysen weitgehend verzichtet, stattdessen stofflich etwa zu den Opern Henzes viel zu erzählen weiß: Einmal identifiziert sich der Autor mit Henze-Haltungen in Musik und Schrift, zum anderen steht er ihnen kritisch gegenüber. Meist verdeckt, mit einem ironischen, auch bitteren Lächeln im Subtext und der Attitüde: Na, was hat denn der Henze da bloß wieder ausgefressen, wenn er sich auf die Insel Kuba begibt und dort bei der Zuckerrohrernte hilft und den Bewohnern seine 6. Sinfonie widmet, eine Musik, wie sie die europäische Kennerschaft selbstverständlich nur belächeln würde. Und dann, eine Seite weiter, steht der Biograf wieder voll und ganz im Einklang mit der Sache, die Henze vertritt, was immer es für eine sein möge. Das ist bisweilen kurios zu verfolgen.

Alles in allem: Jens Rosteck ist ein gewichtiger, insgesamt erhellender, aufklärerischer Beitrag zu Leben und Werk von Hans Werner Henze gelungen.

Jens Rosteck: Hans Werner Henze – Rosen und Revolutionen. Propyläen, 368 S., geb., 26,95 €.

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