LINKE in kollektiver Verantwortung

Nach Lafontaines Rückzug bekommt seine Idee einer Doppelspitze unerwarteten Zuspruch

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 3 Min.
Stunden vor dem für den gestrigen Abend geplanten ersten »Personalgespräch« in der LINKEN-Spitze bekam die vom scheidenden Parteichef Oskar Lafontaine vorgeschlagene künftige Doppelspitze unerwartete Anhänger.
Zeichnung: Reiner Schwalme
Zeichnung: Reiner Schwalme

Selbst der lange Zeit als erklärter Gegner von Doppelspitzen geltende Dietmar Bartsch kann sich »in dieser Situation« auch eine solche Lösung vorstellen. Der Bundesgeschäftsführer der LINKEN, der nach Illoyalitätsvorwürfen gegenüber Oskar Lafontaine auf eine erneute Kandidatur für dieses Amt im Mai auf dem Rostocker Parteitag verzichtet, erklärte am Montag in Berlin, dass die LINKE mit Lafontaines am Wochenende verkündetem Rückzug in eine schwierige Situation geraten sei. Schließlich stehe Lafontaine wie kein anderer für den Erfolg der LINKEN. Doch nun müsse man diese »Zäsur« als Herausforderung begreifen, die bewältigt werden müsse und könne. Die Architektur der LINKEN werde künftig weniger von Einzelpersönlichkeiten geprägt, sagte Bartsch und nahm sogar – wenn auch betont scherzhaft – das Wort von der »kollektiven Führung« in den Mund.

Die Last soll künftig auf mehrere Schultern verteilt werden, weil die Position Oskar Lafontaines niemand wahrnehmen könne, erklärte Bartsch und meinte unter anderem auch die umstrittene Doppelspitze, ohne sich zu Namen äußern zu wollen. Die allerdings werden seit dem Wochenende ganz öffentlich gehandelt. Klaus Ernst und Gesine Lötzsch am häufigsten. Aber auch Petra Pau, Katja Kipping und Dagmar Enkelmann wurden gestern immer wieder als Kandidatinnen genannt. Pau und Enkelmann haben inzwischen mit Verweis auf ihre Ämter abgewinkt. Gegenüber ND begründete Dagmar Enkelmann dies mit ihren Aufgaben als Parlamentarische Geschäftsführerin im Bundestag. Hier allerdings sieht sie eine neue Verantwortung auf die Abgeordneten der Fraktion zukommen. Die Fraktion habe ihre Rolle als Referenzprojekt der jungen Partei offenbar verloren und müsse sich konzeptionell deutlicher in die Debatten der Partei einbringen. Enkelmann kündigte eine Klausur der Fraktion zu diesem Thema an.

Ungeachtet dessen jubelte einer der älteren Befürworter der Doppelspitze, Thüringens Fraktionschef Bodo Ramelow, der sich von der Vernunft der Frauen viel erhofft. Er erwartete in der ihm eigenen Ungeduld sogar für den gestrigen Abend schon eine Vorentscheidung. Und ist damit nicht allein. Selbst der Schweriner Fraktionschef Helmut Holter, der in den ostdeutschen Landesverbänden eher eine Tendenz gegen die Doppelspitze beobachtet hatte, räumte gestern ein, dass die Verlängerung dieses Führungskonstrukts über 2010 hinaus »im Interesse der weiteren Vereinigung der LINKEN in Ost und West« von Nutzen sein könne. Sowohl Bartsch als auch Holter warnten ebenfalls vor »lähmenden« wie langen Personaldebatten, weil man die bundesweit gewonnene Stärke nicht aufs Spiel setzen dürfe – und sich wirklich wichtigen Zukunftsfragen für das Land widmen müsse.

Doch das Personalkarussell in der LINKEN beschäftigt nicht nur die eigene Partei. Während CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erneut vor einer angeblich ohnehin geplanten Zusammenarbeit zwischen SPD und Linkspartei warnte, ging die Debatte um Regierungsbündnisse in der SPD mit wüsten Spekulationen über die Entwicklung der LINKEN weiter. Dafür hatte Bartsch gestern wenig übrig. Ausdrücklich sehe er nicht, dass Bündnisse nach Lafontaines Rückzug leichter geworden wären, weil die SPD sich inhaltlich noch nicht bewegt habe: »Ich plädiere immer für einen inhaltlichen Wettstreit.«

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