Überzeugung und Furcht

Zwischen Bleiben und Gehen – Juden in der DDR

  • Horst Helas
  • Lesedauer: 5 Min.
Blick auf die Synagoge in der Oranienburger in Berlin ND-
Blick auf die Synagoge in der Oranienburger in Berlin ND-

Vorgestellt werden die Biografien von neun Männern und einer Frau: Otto Ephraim, Josef Jubelski, Adalbert Bela Kaba-Klein, Fritz Katten, Julius Meyer, Erich Nelhans, Eva Robinson, Ernest Wilkan, Karl Wolfsohn und Leo Zuckermann. Ergänzt wird der Band mit einem Beitrag über das Jüdische Kinderheim Berlin-Niederschönhausen.

Schicksal um Schicksal berührt auf immer andere Weise. Das Dargestellte kündet von der Brutalität des Kalten Krieges, die Menschen hinter Zuchthausmauern verschwinden ließ oder gar in den Tod trieb. Das Bleiben wurde diesen zehn Juden, die gerade den Holocaust überlebt hatten, auf vielfältige Weise verleidet, das Gehen war immer eine Flucht in letzter Sekunde. Alle zehn hatten sich dafür entschieden, wieder in Deutschland heimisch zu werden, viele wirkten aktiv an der Schaffung eines »besseren Deutschlands« mit und waren in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in führenden Gremien tätig. Einige der Porträtierten wurden Mitglied der SED und bekannten sich zugleich offen zu ihrem Judentum.

Leo Zuckermann beispielsweise wirkte ab 11. Oktober 1949 als erster Chef der Präsidialkanzlei der gerade gegründeten Deutschen Demokratischen Republik, als enger Mitarbeiter Wilhelm Piecks. Im Zusammenhang mit der Noel-Field-Affäre und dem Slansky-Prozess sowie seiner Tätigkeit im mexikanischen Exil wurde er zum »Vorgang« und musste sich vor der Zentralen Parteikontrollkomission rechtfertigen; er entkam drohender Verhaftung im Dezember 1952, flüchtete nach Westberlin und lebte später wieder in Mexiko, wo er im November 1985 verstarb.

Natürlich bewegten sich diese Juden im alliiert geteilten Berlin in einem extremen Spannungsfeld: Durfte man jüdischen Angehörigen der Sowjetarmee zur Flucht in den Westen verhelfen? Durfte man Papiere fälschen, um aus Polen kommenden Holocaust-Überlebenden den Aufenthalt in Berlin zu erleichtern, um sie dann schnellstmöglich in ihre neue Traumheimat Palästina weiterreisen lassen zu können? Wo war die Grenze zwischen Erlaubtem und Illegalem, wenn nach 1945 erst einmal die Tauschwirtschaft nicht nur den Schwarzmarkt bestimmte? Durften hungrige Menschen Pakete überhaupt annehmen, die aus »dem Westen« von jüdischen Organisationen für Glaubensgenossen zur Verfügung gestellt werden? Und schließlich: Wann wurde es für Juden wie Nichtjuden gefährlich, darauf zu drängen, in der DDR ein Wiedergutmachungsgesetz zu beschließen, das in der NS-Zeit erlittenes materielles Unrecht an Juden rückgängig machte und materielle Ansprüche der Opfer anerkannte – wie es Paul Merker sich wünschte. War es nicht legitim, wenn Vertreter der jüdischen Gemeinde, jüdische Widerstandskämpfer und andere vehement dagegen ankämpften, dass bei staatlichen Rentenzuschüssen Menschen, die in der NS-Zeit Schlimmstes erlebt hatten, in zwei Kategorien eingeteilt wurden: in jene, die angeblich »nur« Opfer waren, d. h. die meisten Überlebenden des Holocaust, und diejenigen, die aktiv gegen den Faschismus gekämpft hatten – unabhängig davon, wie umfangreich und andauernd deren Widerstand gewesen war und auch unabhängig davon, wie hoch die NS-Justiz ihr Strafmaß bemessen hatte, wenn sie verurteilt worden waren.

Erschüttert hat mich weniger, dass es solche Repressionen gegen führende Repräsentanten der wieder entstehenden jüdischen Organisationen in Deutschland gegeben hat. Man hat davon auch zu DDR-Zeiten einiges erfahren, wenn man es erfahren wollte. Viel mehr haben mich antisemitische Äußerungen entsetzt, die von manchen Funktionären der Partei wie des Staatsapparates zu hören oder zu lesen waren.

Andreas Weigelt hat akribisch in Archiven recherchiert. Ihm ist zu danken auch und gerade für schmerzhafte Wahrheiten.

Zwei Anmerkungen zum Thema: Erstens, man verschone mich mit den Argumenten, die BRD sei viel antisemitischer gewesen als die DDR und niemand »im Westen« habe das öffentlich gemacht. Auch wenn es stimmt, es entschuldigt nichts. Spät erst, Ende der 80er und mit den 90er Jahren änderte sich dies. Wolfgang Dresen dokumentierte mit einer Ausstellung, wie sich im »Dritten Reich« große deutsche Konzerne, Funktionäre der NSDAP, aber auch »kleine Leute« wissentlich am Vermögen deportierter Juden bereicherten – und dies vor aller Augen tun konnten. Und 1995 war auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs eine Ausstellung zu sehen, die für Ost- und Westberlin dokumentierte, wie schwer sich die Behörden taten, prominente und weniger prominente Berliner aus dem Exil zurück zu bitten in die Stadt, in der sie einst gelebt und gearbeitet hatten. In seiner Heimatstadt Köln verlegte der Künstler Gunter Demnig ebenfalls 1995 die ersten »Stolpersteine«, die an Menschen verschiedener Opfergruppen der Nazis erinnern, an Juden, Sinti und Roma, Widerstandskämpfer, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Wehrdienstverweigerer und andere. Zweitens: Unbestritten ist, dass viele Emigranten, die vor 1933 in Deutschland politisch links organisiert waren oder mit dieser politischen Strömung sympathisiert hatten, bewusst in die DDR kamen und trotz Stalinismus und andern politischen Repressionen hier blieben und nicht wieder weggingen, aus ganz verschiedenen Gründen.

Hermann Simon, Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, schildert in seinem Vorwort, wie er seine jüdische Identität in der DDR bis heute behaupten konnte und wie ihm Rabbiner Martin Riesenburger von 1961 bis 1964 dabei zur Seite stand. Riesenburger war es auch gewesen, der nach dem Holocaust in Berlin das erste jüdische Brautpaar getraut hatte – ein für ihn besonders bewegender Moment. Er hatte Ruth Glückmann und Julius Meyer zur Ehe vereint.

Der Kommunist und Auschwitz-Überlebende Meyer war 1946 bis Januar 1953 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Ostberlin, Vorstandsmitglied der VVN und Volkskammerabgeordneter. Am 15. Januar 1953 floh unter dem Eindruck der gerade in Moskau begonnenen spätstalinistischen antisemitischen Kampagne gegen eine angebliche jüdische »Ärzteverschwörung« sowie dem in Kontext dazu auch in der DDR beginnenden Verdächtigungen gegen »zionistische Agenten« und die Vorbereitung eines Schauprozesses gegen Paul Merker nach Westberlin. Als politischen Flüchtling wolte man ihn aber in der Bundesrepublik lange nicht anerkennen. Meyer starb 1979 in Brasilien.

Andreas Weigelt / Hermann Simon (Hrsg.): Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956. Textpunkt Verlag, 2009. 248 S., br., 16,90 €.

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