»Ermutigende Zeichen«

Russland erkennt Vorrang der Menschenrechtskonvention an

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Als letztes der 47 Mitgliedsländer des Europarats hat Russland im Februar ein Reformprotokoll für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ratifiziert und damit den Weg für diese Reform freigemacht. Die Ratifizierung sei »ein weiterer Beweis, dass Russland die Werte des Europarats teilt«, sagte der russische Justizminister Alexander Konowalow dazu.

Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sorgten bei Bürgern Russlands bisher für gemischte Gefühle. Auch dann, wenn ihre Klagen gegen den russischen Staat dort Erfolg hatten. Zwar zahlte Moskau widerspruchslos Entschädigungen. Im Durchschnitt mehrere zehntausend Euro. Die aus Sicht der Kläger ungerechten und daher in Straßburg angefochtenen Urteile hiesiger Gerichte indes tasteten höhere Instanzen nicht an und beriefen sich dabei auf geltendes Recht. Denn in Russland können Zivilklagen nur dann neu verhandelt werden, wenn neue, bei der Urteilsverkündung nicht bekannte Umstände vorliegen.

Dabei rangiert auch in Russland internationales Recht vor nationalem. Mehr noch: Alle Verpflichtungen, die dem Staat aus internationalen Abkommen entstehen, heißt es dazu im 1993 in Kraft gesetzten Grundgesetz, seien direkt in russisches Recht umzusetzen. Das, so jetzt das Petersburger Verfassungsgericht, gelte auch für die Europäische Menschenrechtskonvention, die das Recht auf ein faires Verfahren garantiert und die Bürger der Signatarstaaten ausdrücklich an den Europäischen Gerichtshof verweist, wenn sie dieses Recht daheim nicht durchsetzen können. Auch russische Gericht, so das Verfassungsgericht vorige Woche, müssen Verfahren wieder aufrollen, deren Urteile in Straßburg kassiert wurden.

Zwar hatte die Duma sich erst Ende letzten Jahres dazu aufgerafft, die letzten Zusatzprotokolle der Europäischen Menschenrechtskonvention zu ratifizieren und das Dokument damit auch in Russland, das dem Europarat schon 1996 beigetreten war, in Kraft zu setzen. Die vom Verfassungsgericht geforderten Änderungen, die den Weg zur Wiederaufnahme von in Straßburg beanstandeten Verfahren frei machen sollen, will das Parlament indes bereits im Frühjahr auf den Weg bringen. So jedenfalls der Vorsitzende des Rechtausschusses, Pawel Kraschennenikow, gegenüber hiesigen Medien.

Beobachter werten die Eile als sicheres Zeichen dafür, dass sich in Russland etwas bewegt. Präsident Dmitri Medwedjew, so der Tenor hiesiger Bürgerrechtler, wolle mit seinen Reformplänen offenbar dort beginnen, wo er mit dem geringsten Widerstand rechnen muss: Bei Rechtstaatlichkeit, die allen gleiche Spielregeln aufzwingt. Der Beschluss des Verfassungsgerichts, glaubt Viktor Scheinis, einer der Autoren der russischen Verfassung, werde weit reichende Folgen haben. Der Staat führe »derzeit einen Generalangriff auf Grundrechte und –freiheiten«, die Anerkennung des Vorrangs internationalen Rechtes stoppe die Willkür und sei ein ermutigendes Zeichen.

Nicht das einzige. So hatte sich Medwedjew letzte Woche gegen Untersuchungshaft bei Wirtschaftsverbrechen ausgesprochen: Ausreiseverbot für Verdächtige und Kautionen – darunter auch Aktien und Immobilien – würden als Sicherheit genügen. Aufsehen hatten auch ungewöhnlich harte Strafen erregt, die jüngst gegen Neonazis verhängt wurden, und Überlegungen, derartige Straftatbestände künftig ausschließlich von Berufsrichtern verhandeln zu lassen. Denn Geschworene, die häufig Kinder im gleichen Alter wie die zunehmend jugendlichen Täter haben, hatten mit diesen sympathisiert, auf bloßes Rowdytum oder gar Unschuld erkannt. Hoffnungsvoll stimmt auch, dass nach dem Mord an zwei Menschenrechtlern den verhafteten Verdächtigen dieser Tage offiziell politische Beweggründe vorgehalten wurden. Bisher war nur von persönlichen Antipathien die Rede.

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