Kein Segen für Streikrecht

Gericht untersagt ver.di Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen

  • Lesedauer: 3 Min.

Bielefeld (epd/ND). Mitarbeiter von Kirche und Diakonie dürfen auch in Zukunft nicht streiken, wenn ihre Tarife nach einem arbeitsrechtlichen Sonderweg ausgehandelt werden. Wie das Arbeitsgericht Bielefeld am Mittwoch entschied, hat das kirchliche Selbstbestimmungsrecht Vorrang vor dem Streikrecht. In dem Verfahren hatten die Diakonie Westfalen-Rheinland-Lippe sowie die westfälische und die hannoversche Landeskirche gegen die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geklagt. Die Gewerkschaft äußerte sich enttäuscht über das Urteil und kündigte an, in die nächste Instanz zu gehen. (Az. 3Ca2958/09)

Ver.di hatte argumentiert, das Grundrecht auf Streik könne nicht durch das Kirchenrecht außer Kraft gesetzt werden. Anlass der Klage waren Streikaufrufe im Herbst des vergangenen Jahres in Einrichtungen von Kirche und Diakonie in mehreren Bundesländern. Die Gewerkschaft hatte eine bessere Bezahlung der Mitarbeiter sowie einen Tarifvertrag für Beschäftigte der Diakonie gefordert.

In der Verhandlung, der zahlreiche Mitarbeitende folgten, erklärte ver.di.-Rechtsanwalt Frank-Rainer Bondzio, es gehe nicht darum das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Gottesdienst oder bei der Verkündigung in Frage zu stellen. Allerdings müssten für normale Arbeitsverhältnisse in sozialen Einrichtungen auch die allgemeinen tariflichen Rechte und Bestimmungen gelten.

Pfarrer Günther Barenhoff, Sprecher des Vorstandes der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, betonte dagegen, bei der Kirche gehörten »Wort und Tat« zusammen. Das Selbstbestimmungsrecht müsse auch für die diakonische Arbeit gelten.

Innerhalb der Kirche gilt für die Tariffindung der sogenannte Dritte Weg. Dabei handeln Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer paritätisch besetzten Kommission die Tarife für die Beschäftigten aus. Kommt keine Einigung zustande, tritt eine Schiedskommission zusammen, deren Spruch verbindlich ist. Nach Ansicht des Gerichtes kann auch durch diesen Sonderweg, eine tarifliche Einigung erzielt werden. Schließlich schlössen die Satzungen der kirchlichen Einrichtungen, die dem Dritten Weg folgten, nicht nur Streiks, sondern auch Aussperrungen aus.


Das Arbeitsrecht und die Kirchen

Bei Tarifstreitigkeiten in kirchlichen Betrieben setzen Gewerkschaften wie Arbeitgeber auf das Grundgesetz. Die Kirchen und die Arbeitnehmer-Organisationen berufen sich dabei allerdings auf unterschiedliche Artikel der Verfassung.

Die Gewerkschaften pochen auf die von Artikel 9 Grundgesetz garantierte Vereinigungsfreiheit. Darin heißt es unter anderem: »Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.« Aus dem Passus »für jedermann und für alle Berufe« wird gefolgert, dass es im Arbeitsrecht keinen übergeordneten Sonderstatus für Religionsgemeinschaften geben dürfe.

Dem halten die Kirchen ihr von der Verfassung garantiertes Selbstbestimmungsrecht entgegen. Im Artikel 140 Grundgesetz zum Recht der Religionsgemeinschaften sind wörtlich Artikel der Reichsverfassung der Weimarer Republik übernommen, die unter anderem erklären: »Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.« Zu diesen »Angelegenheiten« gehören auch arbeitsrechtliche Beziehungen.

Kommentatoren des Grundgesetzes sind sich weitgehend einig, dass die aus Weimar übernommenen Bestimmungen keinen geringeren Wert haben als die für das Grundgesetz der Bundesrepublik neu formulierten Artikel. Sie sind als vollgültiges Verfassungsrecht anzusehen.

dpa/ND

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