Barocke Verschwendung

Pfarrer Uwe Dittmer will keine neue Garnisonkirche in Potsdam

In Brandenburgs Landeshauptstadt wirbt eine Stiftung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Deren einstiger Pfarrer findet, das es heute Wichtigeres gibt.

Wenn sich die beiden Theologen Uwe Dittmer und Martin Vogel über den Aufbau der Garnisonkirche unterhalten, dann kommen sie nicht auf einen Nenner. Dittmer hielt die letzte Predigt in dem 1968 gesprengten Gotteshaus. Obwohl er einst gegen den Abriss der im Krieg beschädigten Kirche eintrat, so verspürte er Erleichterung, als die Soldatenkirche weg war. Der historische Ballast war dem jungen Studentenpfarrer eine Last.

Martin Vogel sitzt im theologischen Aufsichtsrat der Stiftung Garnisonkirche, die sich um den geplanten Wiederaufbau kümmert. Unter König Friedrich Wilhelm I. in den Jahren 1730 bis 1735 errichtet, predigten in der Garnisonkirche Pfarrer für die Soldaten, bevor diese in den Krieg zogen. Vogel hat mit diesem militärischen Geist nichts zu schaffen. In einer wieder aufgebauten Kirche möchte der Theologe Versöhnungsarbeit leisten. Dittmer fragt sich jedoch, was Vogel davon abhalte, dies jetzt zu tun. »Dafür braucht man doch kein neues Kirchengebäude.« Er weist darauf hin, dass Sonntag für Sonntag beim Gottesdienst die Stadtkirchen ohnehin fast leer seien.

Es fehlt an Spenden

Kürzlich feierte Uwe Dittmer seinen 76. Geburtstag. Seit einigen Jahren ist er im Ruhestand und unterrichtet noch ab und zu an der Potsdamer Voltaire-Schule das Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde, wenn ihn eine Lehrerin darum bittet. Auch Martin Vogel war einst sein Schüler.

An einem Bürogebäude in der Breiten Straße prangt ein werbender Schriftzug der Stiftung. Wenn es nach den Befürwortern geht, soll an dieser Stelle 2017 die neue Garnisonkirche eingeweiht werden. Doch die Spenden fließen nicht so richtig. Auch Pfarrer Dittmer könnte niemanden darum bitten, »für einen solchen Unfug Geld zu geben«. Er sei schließlich Christ geworden, weil er von Jesus Christus begeistert sei, und nicht weil die Kirchen so schön seien. Ebenso sprach sich die Heilig-Kreuz-Gemeinde, in der er von 1966 bis zu seiner Pensionierung vor elf Jahren Pfarrer war, gegen den Wiederaufbau aus

Dittmer lebt genügsam. Mittags geht er in den benachbarten Kindergarten zum Essen, nachmittags trinkt er einen Kaffee. Die Bücherschränke in seiner Stube stammen noch aus VEB-Produktion. Er brauche keine neuen; man müsse sich nicht alle materiellen Wünsche erfüllen, findet er.

Eine Grundannahme der Ökonomen, dass die menschlichen Bedürfnisse unendlich seien, trifft auf Dittmer nicht zu. »Wir leben in einer globalisierten Welt«, vergegenwärtigt er sich den Zeitgeist. »Alle fünf Sekunden stirbt irgendwo ein Kind.« Dittmer selbst hat Patenkinder in Indien, Venezuela und Äthiopien; er will sich dem Leid gegenüber nicht verschließen.

Das kann er auch gar nicht, denn dafür müsste er seine eigene Biographie übergehen. Als er elf Jahre alt war, starb sein jüngerer Bruder, weil er krank und unterernährt war. Seine Mutter konnte als Ärztin nicht helfen; der Vater war noch in sowjetischer Gefangenschaft. »Wenn man so arm wie ich aufgewachsen ist, dann bleibt man bescheiden«, erklärt er. Die Notzeiten vergisst er nicht; ebenso wenig die Freude über sein erstes ofenfrisches Brötchen.

Der Freund in Pskow

Eine enge Freundschaft verbindet ihn mit dem niederrheinischen Pfarrer Dieter Bach. Der Theologe hat im russischen Pskow ein Zentrum gegründet, das sich um Behinderte kümmert.

Uwe Dittmer schiebt eine DVD in den Recorder und zeigt eine Dokumentation über das Projekt. Bach wehrt sich dagegen, die Menschen in nützlich oder defekt einzuordnen. Er möchte die Behinderten ins Leben integrieren und hat damit Erfolg: Pskow, 230 Kilometer südwestlich von St. Petersburg, nennt sich seit einigen Jahren die sozialste Stadt Russlands. Einst wurde die Stadt von der deutschen Wehrmacht fast vollständig zerstört. »Diese Initiative leistet konkrete Versöhnungsarbeit«, sagt Dittmer. »Dafür braucht man keine protzige Kirche.«

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