Leseprobe

Dimension DDR

  • Lesedauer: 2 Min.

Nach dreißig Jahren immer wieder unterbrochener Forschungen zur DDR scheint es mir an der Zeit, mit dem Thema endlich abzuschließen – ohne mich allerdings um eine Bilanz zu drücken. Je mehr ich mich mit dieser Gesellschaft beschäftigte – und das setzte lange vor 1989 ein –, desto klarer wurde mir, wie tief sie in der europäischen Geschichte wurzelte. Aus sich heraus läßt sich an der DDR fast nichts erklären.

Der preußische Obrigkeitsstaat, dessen Faszination die Machthabenden der DDR sich in der Spätphase ihrer Herrschaft auch in aller Öffentlichkeit hingaben, sowie die Verwüstungen, die im 20. Jahrhundert Seelen, Siedlungsräumen und der Umwelt angetan wurden – der Täter waren da viele –, bilden die eine Determinante, ohne deren Kenntnis der Analytiker, auch und gerade wenn er »alles« über die DDR zu wissen glaubt, wohl zwar jedes Detail zu erklären vermag; verstehen wird er aber nichts.

Die andere Determinante konstituierte das erzwungene Auscheiden der emanzipatorischen Linken aus der Sozialdemokratie während des Ersten Weltkrieges, der das lange Zeit friedliche 19. Jahrhundert mit einem unheilbaren Zivilisationsbruch beendete. Nach der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus gerann die 1918/19 enstandene Konstellation in die deutsche Zweistaatlichkeit – mit allen Folgen ... Ich bin nicht gewillt, der üblichen Phraseologie Zugeständnisse zu machen; weder der, die im Akademischen produziert wurde – vom sorgsam gepflegten Unrechtsstaat bis zur unvergeßlichen Zwangstopfung –, noch der jener, denen die wohlige Erinnerung an einstige Machtfülle zum zentralen Motiv des verbleibenden Lebens geworden ist und deren Trauer allenfalls für den erlittenenen Machtverlust langt; nicht aber für die Trauer um sich selbst ...

Ein von politischen Kalkülen des Heute emanzipierter Umgang mit dem sich selbst gerichteten Staatswesen DDR bleibt bis auf weiteres eine ungelöste Aufgabe. Hier wird kein weiterer Abriß der Geschichte der DDR geboten. Der Buchmarkt hält Darstellungen dieser Art in genügendem Maße bereit.

Aus dem Vorwort von Jörn Schüt-rumpf zu seinem Buch »Freiheiten ohne Freiheit. Die DDR – historische Tiefendimensionen« (Karl Dietz, 143 S., br., 12,90 € ).

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