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Triumph am Abgrund

Vera Nemirova und Sebastian Weigle setzen in Frankfurt am Main Wagners »Ring« mit der »Walküre« fort

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Triumph am Abgrund

Ob es nun der gelösten Stimmung zu danken war, nachdem man durch einen packend ausgespielten ersten Aufzug gekommen war; ob es ein ironisch inspiriertes Lachen jener Frankfurter war, die sich noch an den symbolgefüllten »Ring« von Ruth Berghaus oder Herbert Wernicke erinnerten; oder ob es einfach die Lust am Sakrileg war, auch mal bei Wagner dazwischenzuklatschen: Jedenfalls gab es Szenen-Applaus, als zum Beginn des zweiten Aufzuges ein kleines Karussell-Pferdchen auf der riesigen Frankfurter »Ring«-Scheibe fröhlich vor sich hin rotierte. Es kann aber auch gut sein, dass es lediglich die Freude darüber war, überhaupt etwas Ungewöhnliches und irgendwie Verblüffendes auf der Bühne zu entdecken. Damit hatte Vera Nemirova bis dahin nämlich gekargt, wie Freia mit ihren Jugendäpfeln.

Für diese »Walküre« stand nicht die Frage an, ob man bei der neoreduktionistischen Großmetapher von Jens Kilians Bühne bleibt, sondern was man diesmal auf, unter oder zwischen den vier jeweils auch eigenständig zu bewegenden konzentrischen Ringen, aus denen sie besteht, so treibt. Es ging also nur um die Frage, wie Nemirova diesmal damit umgeht und wie sie die vorgebebene, formenstreng reduzierende Besinnung auf das Stück an sich, ähnlich wie im »Rheingold«, auch mal durchbricht und relevante Durchblicke in die Gegenwart öffnet. Kurzum: wie sie die ästhetische »Ring«-Dia- lektik zwischen Wagnerianer-Märchen und Welterklärungsvorlage bewältigt.

Wenn im ersten Aufzug unter der angekippten Scheibe die Hunding-Hütte sichtbar wird, eine Feuerschale den Herd markiert, das Wasser für des gebeutelten Helden Labung von der Decke in Sieglindes Hände tropft und das Wunderschwert einfach so aus der Decke ragt (als wäre man im inneren der Esche, in die Wotan es gerammt hat), dann ist das der Rahmen für ein durchgestaltetes Kammerspiel, das seine packende Wirkung entfaltet. Zumindest bis in die Reihen, in denen man auch noch die Mimik des exzellenten Trios auf der Bühne erkennen kann. Da knistert es förmlich zwischen Siegmund und Sieglindes Fingerspitzen bei der ersten Berührung. Da macht jeder Blick und jede herrische Geste Hundings das ganze Elend Sieglindes deutlich und ihren Ausbruch nachvollziehbar. All das wird beim Siegmund des mittlerweile zum Spitzentenor gereiften Frank van Aken, der Sieglinde (seiner tatsächlichen Ehefrau) Eva Maria Westbroek und dem phänomenalen Ain Anger als Hunding zu einem düster dräuenden Kammerspiel vom Feinsten.

Wenn sich die Geschwister dann finden, und musikalisch die Winterstürme vertrieben werden, dann verlassen sie die düstere Hunding-Bleibe und tummeln sich im Freien auf der Scheibe. Vor lauter Glück bemerken sie den anfangs noch fein rieselnden Schnee gar nicht. Der weicht erst dem von Siegmund wunderbar strahlend herbeigesungenen Wonnemond. Wie Nemirova hier jede Geste, jede Bewegung aus der Musik beglaubigt, ist mustergültig. Wobei sich natürlich gerade der erste Akt der »Walküre« nahezu von selbst spielt und man sich schon Mühe geben müsste, den in den Sand zu setzen.

Im so fröhlich begonnen zweiten Akt wird der bewusst vollzogene Inzest der Zwillinge in der Chefetage zwischen Fricka und Wotan verhandelt. Das eskaliert zu einem handfesten Ehekrach und Machtkampf. Wotan, als etwas müder Manager, wie nach einer durchzechten Nacht, kommt mit seinen Beziehungstafelbildern dabei nicht gegen die herrisch kämpferische Fricka an. Wenn Siegmund mit geradezu perverser Lust von Hunding durchbohrt am Boden liegt, erscheint sie noch einmal mit majestätischer Geste obenauf triumphierend. Sie merkt dabei freilich nicht, dass sie am Abgrund steht. Von dessen Wand will auch im Wegdrehen der Name Alberich einfach nicht weichen. Ein eher unauffälliges Menetekel des nahenden Endes der Götterherrlichkeit.

Den berühmt-berüchtigten Walkürenritt zum Auftakt des dritten Aktes nutzt Nemirova zu einem der raren interpretierenden Durchblicke. Die martialische Diktion, die diesen Wagner-Hit zur Begleitmusik des Hubschrauber-Angriffs auf ein vietnamesisches Dorf in Oliver Stones Kriegsfilm »Apocalypse Now« gemacht hat, ist bei ihr eine Art Trauermusik. Soldaten tragen dazu Särge wie zu einer militärischen Trauerfeier von heute herein, während oben, am Scheibenrand, die Walküren nebeneinander aufgereiht und mit Speer und in Harnisch über ihr finsteres Geschäft mit den toten Helden berichten.

Zu Wotans Abschied von seiner putschenden Wunschmaid Brünnhilde dann senkt sich langsam ein lodernder Feuerkranz um deren Lager in der Mitte der Scheibe. Terje Stensvold bewältigt auch diesen Teil seiner Partie noch mit jener wohltimbrierten Götternoblesse, die vor der Wucht von Martina Dikes Fricka Mühe hatte, sich zu behaupten. Die Walküren-Schar ist handverlesen – einzige Schwachstelle im überzeugenden Ensemble ist die Brünnhilde von Susan Bullock. Wobei sie über die fehlende Vehemenz ihrer Walküren-Schlachtrufe mit einer berührenden Gestaltung der dialogischen Passagen mit Wotan hinwegtröstet.

Der größte Pluspunkt zum Schluss: Sebastian Weigle traf vom ersten, sturmtosenden Ton an jenes Maß an Leidenschaft, Präzision und einendem langem Atem, der die »Walküre« auszeichnet. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester rechtfertigte jedenfalls überzeugend seinen gerade eingefahrenen Titel als »Orchester des Jahres«. Und Vera Nemirova nutzt ja vielleicht im »Siegfried« die Chance, aus dem Interpretationspotenzial der Tetralogie beherzt szenische Funken zu schlagen. Eine Schmiede ist ja eh vorgesehen.

Nächste Vorstellungen: 7., 10.11.

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