Marine Le Pen frisst nicht länger Kreide

Tochter des FN-Gründers will an die Spitze der rechtsextremen Partei

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Kampf um den Spitzenposten in Frankreichs bekanntester rechtsextremer Partei, der Front National (FN), ist voll entbrannt. Auch die Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen, Marine, bringt sich in Stellung – unter anderem mit markigen Worten. Die Regierungspartei UMP sieht die öffentlichkeitswirksamen Aktionen von Frau Le Pen mit Sorge um die eigene Wählerschaft.

Lange hatte Marine Le Pen versucht, der rechtsextremen Partei Front National, deren Vorsitz sie im Januar übernehmen will, ein etwas respektableres Image zu verschaffen. Doch angesichts der Schärfe des Kampfes um die Neubesetzung des Amtes ihres Vaters, des Gründers und langjährigen FN-Chefs Jean-Marie Le Pen, ließ sie jetzt alle Rücksichten fallen. Am Freitag in Lyon, an der Basis ihres innerparteilichen Gegenspielers und stellvertretenden FN-Vorsitzenden Bruno Gollnisch, fiel sie in den von ihrem Vater gewohnten Ton zurück. »Wenn man die Moslems beim Freitaggebet ganze Straßen besetzen sieht, fühlt man sich in die Zeit der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg zurückversetzt«, rief sie bei einem Meeting vor frenetisch applaudierenden FN-Mitgliedern und -Anhängern aus.

Die Reaktionen auf diese Ungeheuerlichkeit ließen nicht lange auf sich warten. Scharfe Kritik kam nicht nur von linken, sondern auch von rechten Politikern. Während ein Regierungssprecher erklärte, man gedenke keine Anzeige zu erstatten, um die FN »nicht noch aufzuwerten«, hat die Antirassismusorganisation MRAP bereits juristische Schritte gegen Marine Le Pen angekündigt. Deren PR-Berater reiben sich die Hände, denn die offensichtlich genau kalkulierte Äußerung ihrer Chefin hat ihre Wirkung getan: Die durch die Medien breit wiedergegebene Polemik hat Marine Le Pen ins Zentrum des öffentlichen Interesses katapultiert.

Und Frau Le Pen setzt noch eins drauf. »Diese Polemik ist völlig künstlich«, erklärte sie am Wochenende Journalisten gegenüber. »Dass Rechte und Linke gleichermaßen gegen mich wettern, beweist nur, dass deren System identisch ist. Doch die UMP (Regierungspartei – R.K.) und die Sozialistische Partei gehen über die wahren Probleme der Franzosen hinweg, während ich sie anspreche.«

Die Umfragen scheinen ihr recht zu geben. Etwa 21 Prozent der befragten Franzosen erklären sich mit den von Marine Le Pen vertretenen Positionen einverstanden. Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen könnte sie nach heutigen Erhebungen auf 17 Prozent der Stimmen kommen. Ihre jahrelange Taktik, populistisch vor allem auf die bei einem Teil der Franzosen und insbesondere den sozial schwächsten von ihnen latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit zu setzen und sich gleichzeitig von den extremen Ausfällen ihres Vaters zu distanzieren, hat sich ausgezahlt. Als Jean-Marie Le Pen vor Jahren die KZ-Gaskammern ein »Detail der Geschichte« nannte oder die deutsche Besetzung Frankreichs als »gar nicht so schlimm« bezeichnete, ging die Tochter öffentlich auf Distanz und brachte sich dadurch bewusst schon als »akzeptablere« Nachfolgekandidatin in Stellung.

Dass ihr Vater sie in letzter Zeit wiederholt als die »bestmögliche Nachfolgerin« auf dem Chefsessel bezeichnete und dadurch seinen langjährigen Stellvertreter Gollnisch brüskierte, hat den »harten Kern« der Partei verärgert, den der EU-Parlamentarier aus Lyon vertritt. Jetzt also macht ihm Marine Le Pen auch diese Positionen streitig, selbst auf die Gefahr hin, ihr Mäntelchen relativer »Seriosität« fallen zu lassen. Für die linken Oppositionsparteien ist das keine Überraschung, denn sie waren immer davon überzeugt, dass man Marine Le Pen nicht trauen darf, so viel Kreide sie auch immer fressen mag.

Doch jetzt geht die Angst vor dem Zulauf der wahrscheinlichen neuen FN-Chefin in der rechten Regierungspartei UMP um. Deren neuer Parteichef Jean-François Coppé hat am Wochenende auf einer Funktionärskonferenz gewarnt, die wachsende Stärke der Front National sei eine echte Gefahr für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2012. Polemisch malte er eine »objektive Allianz zwischen der Linken und der extremen Rechten« an die Wand. Dahinter verbirgt sich die Furcht, dass sich die Stimmenverhältnisse völlig verändern und die Wiederwahl von Präsident Nicolas Sarkozy ungewiss werden könnten. Viele FN-Anhänger, die im Präsidentschaftswahlkampf 2007 Sarkozy geglaubt und ihn gewählt haben, weil er sich zahlreiche FN-Positionen zu eigen gemacht hatte, sind inzwischen enttäuscht, wenden sich von ihm ab und kehren zur Front National zurück. Doch das Zünglein an der Waage zu sein, genügt Marine Le Pen nicht. Auf dem Meeting in Lyon sagte sie, was sie für ihre Partei in letzter Konsequenz anstrebt – »die Übernahme der Macht«.

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