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Armselige »Debatte«

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 3 Min.

Hysterie kann man es eigentlich nicht mal nennen, was die Dobrindt, Gröhe, Westerwelle, Steinmeier et al da um einen von der LINKEN gewollten »Kommunismus« aufführen. Sie wissen ja selbst, dass Gesine Lötzsch und ihre Partei völlig unverdächtig sind, in vergangene Zeiten zurückzukehren. Die ganze Empörung ist gespielt, scheinheilig und ein beklemmender Ausdruck der Geistlosigkeit, die auf den Gipfeln der Politik nistet. Hierzulande nistet, muss man dabei anfügen – in Frankreich und anderswo würden Konservative sich zutiefst schämen, sich mit einer solchen Armseligkeit in einer »Debatte« zu prostituieren.

Aber armselig ist leider auch, was man aus Teilen der LINKEN als Reflex hört. Der Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow hätte sich »gewünscht, dass auch Gesine Lötzsch dieses Wort nicht gebraucht hätte, ohne der blutigen Spur des Kommunismus auch nur einen Viertelsatz zu widmen«. Stefan Liebich vom Forum Demokratischer Sozialismus innerhalb der LINKEN sagte Ähnliches. Das kann man vereinbaren – wenn fortan auch das Wort Christentum nie mehr gebraucht wird, ohne dessen blutige Spur der Brandmorde an Hexen und Ketzern, der Kreuzzüge und der Kumpanei des Vatikan mit dem Hitler-Faschismus »einen Viertelsatz zu widmen«. Und wenn von den hehren Grundsätzen der bürgerlichen Gesellschaft, von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nie mehr die Rede ist, ohne anzufügen, dass sie im Blut der französischen Revolution geboren und durch eine bürgerliche Schreckensherrschaft getauft wurden. Ja, sie wischen heute alle den Schwamm darüber, Union und Liberale auch darüber, dass es Abgeordnete ihrer Vorläuferparteien waren, darunter ein späterer Bundespräsident, ein Ministerpräsident, ein Bundesminister und ein Senator, die die Hand für Hitlers Ermächtigungsgesetz hoben. Sollte man in Analogie eines Herrn Vaatz sagen: »Wären morgen die Voraussetzungen dafür gegeben, Union und FDP hätten keinerlei Skrupel, die Demokratie erneut abzuschaffen«? Ein paar Jahrzehnte mehr oder weniger zurück in der Geschichte, hierhin und dorthin – Hinzulernen ist relativ. Nur begibt sich außer jenen Antikommunisten kaum jemand auf ein solches Niveau.

Die »Debatte« zeigt vor allem die allgemeine Verarmung des Politischen und deren Auswirkungen in der LINKEN selbst. Dürfen, wollen wir uns noch Visionen erlauben? Das ist die eigentliche Frage, die man aus dem Text der LINKEN-Vorsitzenden gerne herauslesen möchte, die diese indes – das wäre eine Kritik! – nur am Rande streift. Es geht ihr dort ja mehr um den Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor als um die – nochmals ja: historisch tief befleckte – Idee des Kommunismus. Als man sich 2009 sorgte, dass die Finanzkrise das ganze kapitalistische System in Klump hauen und in einem »Blutbad« ertränken könnte (Handelsblatt), verästelte sich bis in konservative Medien hinein das Nachdenken über gesellschaftliche Alternativen. Nun werden Zweige zertreten, die kaum zu sprießen beginnen. Huch, Kommunismus, welch Schrecken – diese Menschheitsidee von Freiheit und Solidarität, von individueller und sozialer Emanzipation.

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