Abtauchen in Dresden

Ausstellung der Naturhistorischen Sammlungen Senckenberg gibt Einblick in Erforschung der Tiefsee

  • Sebastian Hennig, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Mehr als das 170-fache vom Lebensraum des Festlandes bieten die Weltmeere. Der weitaus größte Teil liegt in einer Tiefe unter 200 Meter – hoher Druck, niedrige Temperatur und tiefe Finsternis ließen dieses Gebiet über Jahrhunderte ein mare incognito bleiben. Doch Erkundungen der letzten Jahrzehnte haben neue Einsichten in eine überraschend vielfältige und lebendige Welt gebracht. Eine Schau in Dresden gibt Einblick.

Die Naturhistorischen Sammlungen Senckenberg in Dresden sind sozusagen abgetaucht. Die Räume sind in Dunkel gehüllt – ein Dunkel, aus dem einzelne Geheimnisse der Tiefsee hervorscheinen.

Die antike und frühmittelalterliche Seefahrt war Küstenschifffahrt, in die Tiefe wurde schon gar nicht geschaut. Erst mit dem Renaissancegeist entwickelte sich eine andere Perspektive: 1521 ließ der Weltumsegler Ferdinand Magellan im Pazifik ein Lot absenken. Noch nach 700 Metern war kein Grund zu spüren. Wodurch der kühne Mann die unermessliche Tiefe des Ozeans freilich für erwiesen hielt. Ein weiterer Zufall wollte gut drei Jahrhunderte später, dass Edward Forbes seine Meeresuntersuchungen in einer Stelle durchführte, die besonders karg besiedelt war. Der Trugschluss von der Lebensfeindlichkeit der Tiefsee wurde dadurch weiter bestärkt.

Doch Räume, die der Mensch nicht erobern kann, bevölkert seine Fantasie mit ihren Fabelwesen. Eine in Spiritus eingelegte Meerjungfrau außer Dienst ist in Dresden zu sehen. Tatsächlich handelt es sich um das Präparat eines Rochens, das mit einigen geschickt angebrachten Schnitten etwas vermenschlicht wurde. Die plastische Chirurgie formte Gliedmaßen, zauberte aus den Atmungsöffnungen ein Augenpaar – und fertig war das Wunderwesen für die Schaubude des Jahrmarktes.

Wie die Raumfahrer

Im Jahr 1873 führte die britische »Challenger«-Expedition zu der Erkenntnis, dass in allen Tiefenzonen des Meeres Lebewesen vorkommen. Das Unternehmen gilt als die Gründungsakt der Tiefseeforschung. Deutsche Zoologen folgten 25 Jahre darauf mit der großangelegten Valdivia-Expedition, deren Organisation von Dresden aus betrieben wurde. Noch etwas länger dauerte es, bis Menschen direkt vor Ort dieser Welt ansichtig werden konnten – und zwar mit der Bathysphäre, einer enger Hohlkugel mit atmosphärischem Druck, die 1934 von einem Schiff abgeseilt wurde. Der US-amerikanische Professor Charles William Beebe lag am kleinen Sichtfenster aus dickem Quarzglas und zeichnete die wunderbaren Wesen einer Welt, 900 Meter tief bei den Bermuda-Inseln, die vor ihm kein menschliches Auge erblickt hatte. Er wird sich dabei kaum weniger seltsam gefühlt haben als die Weltraumfahrer Jahrzehnte später.

Ein maßstabsgetreuer Nachbau von Beebes Gefährt ist in der Ausstellung zu sehen, ebenso der Nachbau des elf Meter langen U-Bootes »Mariana 10914«. Dieses kann sogar betreten werden. Modelle von Pottwal und Riesenkalmar schweben im Dämmerlicht über den Köpfen der Besucher.

Heute geht zuweilen die Ausbeutung auch der Tiefsee geschwinder voran als der Erkenntnisgewinn. Ölbohrungen dringen bis in sechs Kilometer Tiefe vor. Manganknollen und Methanhydrat als Energiequelle erwecken Begehrlichkeiten. Und weil die oberen Bereiche überfischt sind, greift man immer tiefer in die Ozeane ein. Dabei sind nicht nur die gezielt Bejagten Opfer der Beutegier. Der Beifang ist zahlreich und eine noch kaum bekannte Unterwasserlandschaft wird verwüstet. Schleppnetze rasieren Geheimnisse vom Meeresboden, noch ehe sie erforscht sind.

Leben in heißen Oasen

Am Beispiel des Orange-Barsches – neuerdings als Speisefisch entdeckt – zeigt die Ausstellung, wie langsam ein solches Wesens heranreift. Jedenfalls zu langsam um gegen menschlichen Appetit und Geschäftssinn eine Überlebenschance zu haben.

Zu den erstaunlichen jüngsten Überraschungen der Tiefsee gehören heiße Oasen auf dem Meeresgrund mit unvermuteten Bewohnern. Die Dresdener Schau öffnet nur einen Türspalt zu einer weiten Welt voller Geheimnisse. Wer etwas mehr entdecken möchte, kann mit seiner Familie an einer der wöchentlich stattfindenden Taschenlampenführungen durch die Ausstellung teilnehmen.

»Tiefsee entdecken – erforschen – erleben« Senckenberg Naturhistorische Sammlungen in Dresden, Palaisplatz 11, bis 1. Mai 2011, Di-So 10-18 Uhr

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