Vom Ehrengast zur Persona non grata

Der französische Germanist und Künstler Jean Pierre Hammer über seine Erlebnisse in der DDR

  • Lesedauer: 6 Min.
Als französischer Linker wurde der heute emeritierte Universitätsprofessor im April 1962 vom DDR-Establisment mit offenen Armen empfangen. Sehr schnell wurde den Genossen allerdings klar, dass sich Hammer nicht für das SED-System, sondern für die Menschen, die Literatur und die Musik in der DDR interessierte. Als Freund und Kollege vieler DDR-Intellektueller und Oppositioneller wurde er bald zur Persona non grata. Trotz aller Hindernisse engagierte sich Hammer für die Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR. Seine Erfahrungen und Erlebnisse hat er Ende 2010 im Band »La vrai visage de la RDA entre la Stasi et l`opposition démocratique« (Das wahre Gesicht der DDR zwischen Stasi und demokratischer Opposition) veröffentlicht. Mit dem in Paris lebenden, heute als freischaffender Schriftsteller, Maler und Musiker tätigen Jean Pierre Hammer sprach SUSANNE GÖTZE.

ND: Ihre erste Reise in die DDR unternahmen Sie 1962: Welche Erwartungen hatten Sie da als oppositionelles Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs?
Hammer: Ich habe 1962 bei meiner ersten Reise in die DDR ein offenes Visum für die gesamte DDR und sogenannte Begleiter bekommen. Alles fing im Weimarer Hotel »Elephant« an. Man hat sich sehr um mich bemüht – ich fühlte mich wie ein König. Ich bin damals in die DDR gekommen, um Handschriften des Dichters Nikolaus Lenau in den Archiven zu suchen. Zudem war ich auf der Suche nach deutschen Büchern für die Gründung des deutschen Institutes an der Universität Madagaskar. Trotzdem war mir das große Bemühen der DDR-Behörden um meine Person fast unheimlich. Ich fragte mich, warum sich all diese hochgestellten Leute so eingehend um mich kümmern, obwohl ich einige Monate vorher aus der KPF ausgeschlossen wurde.

Wie kam es zum Bruch mit der KPF?
Ich bin ein Jahr nach meinem Eintritt in die KPF (1949) schon in deren Opposition gegangen: Das bedeutete einen regelmäßig harten Kampf gegen die Stalinisten, die damals in der Partei das Sagen hatten. Zusammen mit anderen Intellektuellen dachten wir, dass wir den Kurs der KPF ändern und den Geist der Widerstandsbewegung wiederbeleben könnten. Ich habe mich auch offen gegen den Personenkult ausgesprochen. Der Marxismus war und ist für mich geschichtlich und philosophisch zentral – allerdings der Marxismus nach Marx: Ich lehne Fälscher wie Lenin und Stalin grundsätzlich ab. Um mich loszuwerden, wurde mir 1962 eine Statutenwidrigkeit angehängt.

Hatte das Auswirkungen auf ihre Reisen in die DDR?
Ja, schon im nächsten Sommer 1963 musste ich fünf Stunden an der Friedrichstraße auf mein Visum warten. Als ich in das Hotel kam, wo ich reserviert hatte, gab es dort angeblich keinen Platz mehr. Nach langem Suchen fand ich durch Zufall ein kleines Zimmer in der Nähe des Berliner Ensembles. Das hatte sicher auch mit dem Status meines österreichischen Freundes Ernst Fischer zu tun, der 1963 für die Stalinisten zu einem dubiosen Dichter und Politiker geworden war. Auslöser waren die »Huchel-Affäre« und die Kafka-Konferenz in Liblice bei Prag. Fischer hatte wie viele andere kritische Geister in der letzten Ausgabe der Literaturzeitschrift »Sinn und Form« unter Chefredakteur Peter Huchel veröffentlicht, der dann zum Rücktritt gezwungen wurde

Wieso interessierten Sie sich für die DDR?
Ich habe 1954 einen Brief mit einem Artikel über Franz Grillparzer, den österreichischen Dramatiker, bekommen, der mich unheimlich begeistert hat. Diesen Artikel hatte Fischer geschrieben. Ich habe mich sehr bald mit ihm angefreundet. Wir haben uns jahrelang in Wien getroffen, zusammen mit seiner Frau Louise Fischer-Eisler, der ehemaligen Frau von Hanns Eisler. Je mehr er sich vom Stalinismus abwandte, desto größer wurde unsere Freundschaft. Ich habe viel von Fischer über die DDR gelernt und durch ihn viele neue Freunde gewonnen.

Zum Beispiel Robert Havemann.
Ja. Als ich das erste Mal nach Ostberlin gereist bin, hat Fischer mir empfohlen mich an Stefanie Eisler, die Witwe von Hanns Eisler, zu wenden. Durch sie lernte ich Robert Havemann aber auch Hans Bunge, den Direktor des Brecht-Archivs sowie Helene Weigel und später viele andere kennen. Zwischen 1963 und 1978 war ich sehr oft in der DDR – manchmal nur kurze Zeit – und jedes Mal traf ich Wolf Biermann, Havemann, Jürgen Fuchs, Walter Janka und Huchel. Ich habe durch einen Vortrag über Lenau an der Universität Leipzig auch Professor Hans Mayer getroffen. Er sagte mir: »J`en ai marre de ce pay« (Ich habe die Nase voll von diesem Land). Einige Monate später ist er dann ausgereist und nie wieder in die DDR zurückgekehrt.

Sie waren auch mit Wolf Biermann befreundet?
Havemann war der Wissenschaftler, der politische Denker und Biermann der geniale Liedermacher, der diese Gedanken in seinen Texten künstlerisch wiedergab. Wir haben vor seiner Ausbürgerung 1976 viel zusammen auf die Beine gestellt. Biermann war großartig, solange er in die DDR war. 1979/80 übersetzte ich ihn bei seinen Tourneen durch Frankreich. Heute ist aus verschiedenen Gründen der Kontakt zwischen uns leider abgebrochen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Frankreich-DDR-Gesellschaft gemacht, deren Mitglied Sie jahrelang waren?
Mir war es als Hochschullehrer wichtig, Studenten- und Lehreraustausche auf die Beine zu stellen. Ich entdeckte im Hanns-Eisler-Archiv in Niederschönhausen die Lieder und Kammermusikwerke des Komponisten und beschloss, sie dem Pariser Publikum zu vermitteln. Ich schlug der Gesellschaft 1967 vor, Konzerte mit Eislers Musik in Paris zu organisieren. Das wurde begeistert aufgenommen. Um Partituren aus dem Eisler-Archiv nach Paris zu holen, beantragten wir ein Visum. Von höchster Stelle der DDR kam die Forderung, ich solle das Visum nur erhalten, wenn ich versprach, mich nicht mit meinen Freunden zu treffen. Ich konterte: Ohne Visum gibt es kein Konzert in Paris. Zudem drohte ich, die Gründe des Scheiterns publik zu machen. Das war den Genossen dann doch unangenehm und sie ließen mich einreisen. Es fanden drei Konzerte in Paris statt.

Spannungen gab es immer wieder, so bei der Organisation einer Ausstellung von Bildenden Künstlern aus der DDR in Paris. Wir haben es aber am Ende geschafft, dass auch verbotene Künstler im Grand Palais ausgestellt wurden.

Ein Interview, das Sie mit Havemann führten und veröffentlichten, setzte Ihren DDR-Besuchen ein Ende. Was genau geschah in jenem Dezember 1977?
Zu dieser Zeit lebte Robert in Hausarrest. Er durfte nur seine Tochter und seinen Sohn besuchen. Ich fuhr am Vortag zu seiner Tochter, um dort auf ihn zu warten. Am anderen Morgen kam er dann. Als er mich sah, traten ihm die Tränen in die Augen: Er glaubte mich nie wieder zu sehen. Damals war er schon sehr krank. Dann legte er eine Schallplatte auf und wir setzten uns in die hintere Ecke des Raums: Drei Stunden hat er erzählt und mir eine genaue Beschreibung der damaligen DDR-Zustände gegeben. Dann musste ich das Interview noch außer Landes bringen. Robert jagte seine Beobachter ins Bockshorn: Während er normalerweise nur zwanzig Stundenkilometer mit seinem Trabant fuhr, um seine ständigen Begleiter zu ärgern, setzte er sich nach dem Gespräch in sein Auto und brauste mit Höchstgeschwindigkeit davon. Die Verfolger waren so verdutzt, dass sie ihm panisch folgten und ich in Ruhe Grünheide verlassen konnte. Wenige Wochen später erschien das Interview in »Le Monde« und wurde in vielen Zeitungen nachgedruckt. Kurz darauf wurde Havemanns Hausarrest aufgehoben. Das war ein großer Erfolg.

Sie haben Ihren Freund Havemann jedoch nie wieder gesehen, er starb einige Jahre später.
Ich hatte nach 1978 zwar kein offizielles Einreiseverbot, aber Robert hat mir den guten Rat gegeben, von nun an nicht mehr in die DDR zu kommen. 1990 habe ich in den Akten die Notiz gefunden, dass alle möglichen Schritte unternommen wurden, damit ich nicht mehr in die DDR einreisen kann.

Meine Erfahrungen und die Geschichte haben aber gezeigt, dass das Volk der DDR stärker war als die regierende Clique.

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