Spannung bis zur letzten Minute

Ein Jahr vorm Anpfiff zur EURO 2012 hinken Ukraine und Polen dem Zeitplan hinterher

Für punkt 18 Uhr ist heute in einem Jahr im Warschauer Nationalstadion der Anstoß zur Fußball-Europameisterschaft 2012 angesetzt. Doch immer mehr stehen die Gastgeberländer Ukraine und Polen in der Kritik: Beide Ausrichter hinken dem Zeitplan deutlich hinterher.

Eigentlich sollte morgen in der PGE-Arena in Gdansk Fußball gespielt werden: Zur Einweihung des bernsteinfarbenen Multifunktionsstadions war die glorreiche französische Nationalelf zum Match gegen Polen geladen; mit einem Fußballspektakel sollte das 680-Millionen-Euro-Projekt in der Hafenstadt gefeiert werden.

Seit ein paar Tagen weiß man, dass morgen im EM-Stadion Gdansk keine Hymnen erklingen werden und dort stattdessen wie üblich die Bagger und Hämmer die Melodie bestimmen: Die 45 000 Zuschauer fassende Arena ist noch eine Baustelle, das Spiel gegen Frankreich wird nach Warschau verlegt, ins Legia-Stadion.

Auch in der polnischen Hauptstadt hat sich ein Problem zusammengebraut: Die österreichische Baufirma Alpine ist in Verzug geraten beim Bau des neuen Nationalstadions (Kosten: 480 Millionen Euro). Hier sollen nächstes Jahr neben dem Eröffnungsspiel auch ein Viertel- und ein Halbfinale der Europameisterschaft ausgetragen werden.

In der Arena gab es eine fehlerhafte Elektroinstallation und die als Notfluchtwege vorgesehenen Außentreppen wurden offenbar falsch verlegt. »Bis 15. Juni soll die Firma nun einen Zeitplan vorlegen, wie sie den Verzug aufholen kann«, sagte Tomasz Zahorski vom polnischen EM-Organisationskomitee »PL.2012« gestern in Berlin. Im schlimmsten Falle müsse man sogar in Kauf nehmen, das Einweihungsspiel gegen Deutschland am 6. September 2011 zu verlegen. »Die Sicherheit geht vor«, so Zahorski, »wichtig ist, dass unsere Stadien in einem Jahr alle fertig sind – und das werden sie!«

Mehr als eine Million Touristen werden zur EM 2012 in Polen erwartet, etwa ein Drittel davon aus Deutschland. Dass nun ein 30 Kilometer langes Teilstück der Autobahn A2 (Berlin-Warschau) voraussichtlich nicht rechtzeitig fertig wird, weil die chinesische Baufirma COVEC happige Nachforderungen stellt (ursprünglicher Baupreis: 330 Millionen Euro), klingt ebenfalls nicht vielversprechend für die Absicht der Polen, sich den Nachbarn in einem neuen Licht zu zeigen: spontan, kontaktfreudig – und vor allen Dingen modern.

Fast allen großen Weltsportereignissen eilen ja mittlerweile auch Hiobsbotschaften voraus, je nach Lage im Lande sind es Desinteresse in der Bevölkerung (ja, so war das 2006 vor der Fußball-WM in Deutschland), Umweltprobleme (Olympia in Turin 2006), politische Instrumentalisierung (Olympia in Peking 2008) oder Zweifel am Organisationsvermögen der Gastgeber (Fußball-WM 2010 in Südafrika). Und am Ende lieferten doch alle mehr oder weniger gelungene Sportfeste ab.

Doch was sich in Polen und vor allem in der Ukraine an Problemen auftürmt, ist gewaltig. Denn auch in der Ukraine wird noch an Stellen gebaut, wo dieser Tage schon fertige Stadien stehen sollten: so zum Beispiel in Kiew und Lwiw.

Die Europäische Fußball-Union UEFA hofft, dass die Arenen in der Ukraine wenigstens wie nun angekündigt im Oktober fertig werden. Spannung bis zur letzten Minute – im Stadion erwünscht, beim Stadionbau ein Gräuel.

Auch in der ukrainischen Hauptstadt droht eine Blamage bei der Einweihung des Nationalstadions: Denn im November will die Ukraine, die jüngst den legendären Oleg Blochin zum zweiten Mal zum Nationaltrainer berief, ebenfalls eine der besten Mannschaften Europas zur Länderspielpremiere empfangen. Und muss den Gast womöglich wegen Bauverzugs umleiten: die deutsche Nationalelf.

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