Schlösser zwischen Kraut und Rüben

1946: Erste Denkmalliste in der Sowjetischen Besatzungszone

  • Lesedauer: 8 Min.
Schlösser in der DDR, ihre Geschichte und Ihre Geschichten dazu – wir haben Sie um Ihre Erlebnisse gebeten und über 70 Zuschriften erhalten. Danke! Unsere Autorin Burga Kalinowski ist den Spuren gefolgt. Heute der letzte Teil unserer Schlossgeschichten.
Elke Hempel: »Ein Schloss für jedermann ist einfach zu teuer.«
Elke Hempel: »Ein Schloss für jedermann ist einfach zu teuer.«

Wie in den Horizont eingraviert, zieht sich am Rand des flachen Landes ein grüner Waldstreifen hin, hinter dem schlanke Türme aufragen. Zwischen Getreide, Rüben und Kartoffelfeldern erhebt sich das Schloss mit Zinnen, Türmchen und Giebeln. Weiß getüncht vor blauem Himmel. Ein Bild aus dem Märchenbuch. Neuschwanstein in Meckpomm – könnte man vermuten und läge nicht ganz falsch damit: Immerhin ist Mecklenburg-Vorpommern das Bundesland mit den meisten Guts-und Herrenhäusern, landläufig Schlösser genannt. Fast an jeder Ackerfurche steht eins. Zeugnisse vergangener Lebenswirklichkeit. Schloss Kartlow ist eine von rund 2100 dieser herrschaftlichen Anlagen. Hinter dem englischen Landschaftspark beginnt das Dorf.

»Ich zeig Ihnen das.« Elke Hempel macht mit mir eine Führung. Aber erstmal Kaffee und ein Schwatz. Wir sitzen im Garten. Die Sonne scheint, Linden duften, Elke Hempel beschriftet Etiketten für Honiggläser. Sie ist arbeitslos, bekommt Hartz IV, würde lieber arbeiten und eigenes Geld verdienen, wie sie es ihr ganzes Leben gemacht hat. Mit Honig, Kräutern und Pflanzen verdient sich die 55-Jährige ein Zubrot, behält ein Stück Selbstständigkeit. Sie kann nicht rumsitzen und Däumchen drehn. Nee, das ist ihr nichts. Am Vormittag war sie in Jarmen zum Reitertag und hat die Kindergruppe betreut. Morgen muss sie nach Kräutern gucken gehen, nächste Woche sich um die Bibliothek kümmern, und irgendwann trifft sich die Gemeindevertretung von Kruckow-Kartlow. Da muss sie auch hin. Elke Hempel ist eine der stellvertretenden Bürgermeister. Ehrenamtlich, natürlich. Sie lacht. Ihre Freundlichkeit ist ansteckend.

Wege übers Land führen in die Geschichte des Landes. Wir gehen los – zum Schloss und in die Erinnerung. Elke Hempel zeigt auf die Katenhäuser, die 1946 im Zuge der Bodenreform verlost wurden. Auch ihr Vater erloste Ackerland und Elternhaus. Sie benutzt ein Wort, das nur noch jene verstehen, die den historischen Vorgang der damaligen Besitzumverteilung per Ziehung eines Loses kennen. Gott sei Dank, dass die neuen Eigentumsverhältnisse damals im Grundbuch festgeschrieben wurden. »Denn jetzt ist Besitz wieder was wert. In der DDR war es nicht so wichtig. Jeder hatte alles, und keiner hatte was. Das haben wir nun davon.« Elke Hempel stellt es in einer Mischung aus Wehmut und Humor fest. Inzwischen sind wir beim Schloss angekommen. Westseite mit Terrasse, Blick auf den sanft abfallenden Park nach Plänen von Peter Joseph Lenné, der Teich mit kleiner Insel – schön. Natur, geformt zu Kultur.

Hier war der Kindergarten. »Das war toll. Wir hatten es so schön.« Im Schloss ist sie auch eingeschult worden, ihre Eltern haben im Festsaal Silberhochzeit gefeiert und die LPG »Friedrich Engels« ihre Feste und Planerfüllung. Im Herbst 1945 fanden Flüchtlinge hier eine erste Bleibe. Zeitweise lebten 400 Menschen in den Räumen mit kunstvollen Wandbildern und Marmorkamin. Und als die Eiseskälte des ersten Nachkriegswinters einbrach, wurde die edle Wandtäfelung verfeuert. Über Vernichtung von Kulturgut in jenen nachmörderischen Zeiten gibt es Geschichten, Fotos und Berichte. Weniger bekannt ist, dass die sowjetische Besatzungsmacht die Landesregierung und diese das Landesamt für Denkmalpflege bereits im Jahre 1946 beauftragte, eine Liste schützenswerter Bauten aufzustellen. Faktisch die erste Denkmalsliste ein Jahr nach Kriegsende. Es gab einen weiteren Beschluss – der Befehl 209 – zur Nutzung und Umwandlung der Schlösser für Wohnungen und Häuser für Landarbeiter und Umsiedler. Aus der Not heraus führte das oftmals zum Abriss, um Baumaterialien zu gewinnen. Manchmal wurden nur die Nebengebäude und Stallungen abgerissen. Kartlow hatte Glück.

War Militärlager, Zuflucht für Flüchtlinge, dann Kita, Schule, auch mal Konsum, Festsaal, Gemeinde-Büro und Wohnraum bis zum Schluss. Es war ein Schloss für Jedermann. Und das war selbstverständlich. »Wir haben immer gesagt: Unser Schloss. Doch, doch, das war was Besonderes. Gucken Sie doch.«

Schloss Chambord in Frankreich – das größte der Loire-Schlösser – gilt als Vorbild für das Schlösschen im Renaissancestil mit neogotischen Elementen. Es wurde wahrscheinlich nach Plänen des Berliner Architekten Friedrich Hitzig gebaut, eines Schinkelschülers und Modearchitekten seiner Zeit. Der Prachtbau entstand zwischen 1853 und 1859 und kostete den Bauherren Woldemar von Heyden 43 821 Taler.

Mit der Bodenreform übernahm die Gemeinde Gut und Schloss der Familie Heyden. So ging es den meisten Gutsherren. Im östlichen Nachkriegsdeutschland hält man sich an den Beschluss des Potsdamer Abkommens, Besitz über 100 Hektar entschädigungslos zu enteignen. Land, Wald, Gewässer und Schlösser gehen in Staatsbesitz über, werden vor allem aber unter ehemaligen Tagelöhnern, Neubauern und Umsiedlern verteilt. Trotz aller Klagen trifft die Enteignung meistens die Richtigen und ist nur manchmal ungerecht. Die einen wie die anderen gehen in den Westen, vergessen jedoch ehemaligen Besitz nicht und pflegen die Hoffnung darauf.

Die Wende belohnt diese Anhänglichkeit und scheint den Anspruch zu bestätigen. Aber das Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung« schließt Bodenreformland ausdrücklich aus – eine Bedingung der Sowjetunion in den Verhandlungen über die deutsche Einheit, heißt es. Das Geschäft macht nun die Treuhand. Landbesitz ist nach 40 Jahren Auszeit wieder profitabel. Beträchtliche Teile des DDR-Vermögens, darunter auch Bodenreformland, wandern in den Supermarkt der Einheit. Da kann sich bedienen, wer Kohle hat. Für Alteigentümer werden die Preise kulant gestaltet, und sie können sich's aussuchen. Gern wird Wald genommen. Auch Grund und Boden sind lohnende Geldanlagen, die alten Häuser dagegen nicht so richtig. Sie sind kostenintensiv, erst Recht, wenn sie unter Denkmalschutz stehen.

Manch kulturhistorisch wertvolle Immobilie geht für 'ne Mark über den Ladentisch der Treuhand, bringt den Käufern aber doch nicht immer den spekulierten Gewinn – meistens verkommen die Gebäude. Denkmalschutz hin oder her. Mit juristischen Finessen wird das Gesetz ausgehebelt. So kommt es, dass nach der Wende mehr kulturhistorische Bausubstanz verfallen ist als in der DDR. Kaum zu glauben: Was sich leicht den beliebten Vorwurf kommunistischer Schönfärberei einhandeln könnte, gehört zu den Erfahrungen, wie sie zum Beispiel Renate de Vries, promovierte Kunsthistorikerin, nach der Wende bei der Erarbeitung ihres Projektes »Steinernes Gedächtnis« gemacht hat. In der vollständigen und detailgenauen Dokumentation aller Gutshäuser und aller Gutsanlagen in Mecklenburg-Vorpommern kommt sie u.a. zu diesem Fazit der Fakten: Leerstand schafft Ruinen.

Ein schlimmes Beispiel für Verfall ist Schloss Basedow, gestaltet nach Plänen des Architekten Stüler. Es wurde 2004 von zwei Schweizer Brüdern ersteigert, die schon mehrere Herrensitze erworben hatten – offenbar als Spekulationsobjekte. Trotzdem bekamen die Schweizer von der Treuhand den Zuschlag für eine der bedeutendsten Schloss-und Parkanlagen in Mecklenburg-Vorpommern, seit 1951 unter Denkmalschutz und 1985 von der DDR als kulturhistorisches Ensemble mit Schloss, Lenné-Park, Dorf und umgebender Landschaft geschützt. »Basedow ist ein gebauter Traum. Nicht so, wie es jetzt aussieht, sondern von der Anlage her. Das ist dieser Uransatz, das Schöne und Nützliche gestalterisch miteinander zu verbinden.« Stefan Pulkenat, Garten-und Landschaftsarchitekt, hat 1988 den Park Basedow nach den Plänen Lennés gartenpflegerisch weitgehend rekonstruiert. Der Verfall der Anlage jetzt geht ihm nahe.

Aber es gebe auch positive Beispiele wie Schloss Pinnow, wo der kleine Junge, der damals mit seinen Eltern geflohen ist, das damalige Familienanwesen der Gemeinde abgekauft hat und nun dort wohnt. Oder Kittendorf in Tudorgotik, früher Berufsschule und Internat, 1988 erste Restaurierungsarbeiten, die 1990 eingestellt werden, 1992 wird es Privatbesitz und liebevoll original rekonstruiert. Heute ist es Hotel. Ebenso Bredenfelde, das zur gleichen Zeit wie Schloss Kartlow erbaut wurde: Nach 1945 war es Verwaltung und Umsiedlerunterkunft, wurde 1968 vom Wohnungsbaukombinat Bitterfeld als Ferienobjekt erworben, leider nicht saniert. Schließlich stürzte das Dach ein. 1997 Privatkauf, Sanierung, Hotel. »Es gibt also alle Varianten: Verfall, Verscherbeln, Verbrennen – vom Abriss bis zum Aufbau«, resümiert Pulkenat. Auch Schloss Kartlow gehöre mittlerweile zu den erfreulichen Beispielen, obwohl es eine Zeit lang nicht so aussah.

Wir sitzen auf den Stufen zur Schlossterrasse. Der Park vermittelt Ruhe. Schnell noch ein Foto: Elke Hempel und das Schloss. Hier hat sie als Kind gespielt, bestaunte die Architektur des Schlosses, bekam ein Gespür für die Harmonie von Natur und Kultur, für Schönheit.

Städte wie Weimar und Dresden ziehen sie an. Die Elbestadt wird ein Arbeits-und Lebensort. Bis heute weiß sie den Preis der Jahreskarte für die Dresdner Museen: zwölf Mark. Sie nutzt die Möglichkeiten. »Vorher hatte ich 'ne Liebe zu dem Schloss, so ein Heimatgefühl. Dann kam das historische Verständnis dazu.« Die 1986 beginnende Restaurierung des Schlosses verfolgt sie mit großem Interesse.

Einige Jahre weiter – die Geschichte hat einen Sprung gemacht. Manche sagen nach vorn, manche sagen zurück. Elke Hempel jedenfalls ist wieder zu Hause in Kartlow, hat keine Arbeit mehr, aber ihre erste Österreichreise und eine Umschulung hinter sich. Und sie hat einen Plan: ein Schloss für jedermann. Wie früher, nur anders. »Wir drei – Rosi, Andreas und ich – wollten einen Förderverein gründen, um das Schloss zu erhalten.« Sie machen Termine, knüpfen Kontakte, führen Gespräche. Elke Hempel richtet schon mal ein kleines Dorfmuseum im Schloss ein, denkt über Finanzierung nach. Und gibt schließlich auf. Ein Schloss für jedermann ist einfach zu teuer.

2009 wird es für circa. 1,5 Millionen verkauft an einen, der auch darin wohnen will, der teure Autos hat und edle Pferde. Einer, der Engagement und Geld in die denkmalgerechte Sanierung steckt und etwa 20 Arbeitsplätze schaffen will. Vielleicht ist auch einer für Elke Hempel dabei. Einmal im Jahr wird es einen Tag der offenen Tür geben und Konzerte. Es wird lebendiger werden. Aber kein Schloss für Jedermann. Warum haben Sie es nicht gekauft oder die Gemeinde, frage ich Elke Hempel. Sie lacht.

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