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Kein Bruder von Heiner

Gegen Krebs und Biowaffen – Der DDR-Genetiker Erhard Geißler erinnert sich

  • Rolf Löther
  • Lesedauer: 4 Min.
Geißler auf dem letzten Kongress der DDR-Urania, Juni 1990
Geißler auf dem letzten Kongress der DDR-Urania, Juni 1990

Wer die 80 überschritten hat, in der Wissenschaft und in der Welt herumgekommen und geistig rege ist, hat viel zu erzählen. Des gebürtigen Leipzigers (Jg. 1930) mit Anekdoten und Selbstironie gewürzten und spannend zu lesenden Erinnerungen schöpfen aus dem Vollen. Mancher mag sich an manches ein wenig anders erinnern. Aber das ist bei Autobiografien nicht anders zu erwarten.

In der DDR war Erhard Geißler durch Presse (einschließlich ND), Funk und Fernsehen öffentlich bekannt und gab seinem Publikum durch die Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse viel. Er gehörte dem Präsidium der URANIA an und setzte sich für die Verbreitung genetischen Wissens ein, stritt nicht zuletzt gegen die Lyssenkosche Pseudowissenschaft und für die von manchen mit Argwohn betrachtete junge Verhaltensbiologie. Durch seine Forschungsarbeit wurde er zu einem führenden Molekularbiologen der DDR. Das überwog bei Weitem den nicht gerade karriereförderlichen Umstand, dass er seit 1950 der SED angehörte, sie aber 1957 wieder verlassen hatte.

Er arbeitete zunächst am Institut für experimentelle Krebsforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch und promovierte und habilitierte sich an der Humboldt-Universität. Danach war er Direktor des Instituts für Mikrobengenetik und Ordinarius für Genetik an der Rostocker Universität. Von dort führte sein Weg zurück nach Berlin-Buch, wo er Abteilungsleiter am Zentralinstitut für Molekularbiologie der DDR-Wissenschaftsakademie wurde, das er 1987 verließ.

Inzwischen hatte sich der Molekularbiologe ein neues zusätzliches Wirkungsgebiet erschlossen. Der stürmische Aufschwung von Molekularbiologie und Gentechnik sowie davon ausgehende Spekulationen namhafter Wissenschaftler darüber, was man in Zukunft alles mit dem Menschen anstellen könne, führte ihn in den 1960er Jahren dazu, sich mit dem möglichen Missbrauch des neuen Wissens auseinanderzusetzen. Er wurde zum Initiator der legendären interdisziplinären »Kühlungsborner Kolloquien«. Auf ihnen diskutierten Naturwissenschaftler, Mediziner, Philosophen, Gesellschaftswissenschaftler sowie Künstler und Schriftsteller aus der DDR und dem westlichen wie östlichen Ausland über philosophische und ethische Fragen der Biowissenschaften. Die Veranstaltungen erregten internationale Aufmerksamkeit.

So kam es, dass der DDR-Genetiker seit 1983 Berater des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) war und sich Fragen der Friedens- und Abrüstungspolitik speziell auf dem Gebiet der Biowaffen widmete. Mehrwöchige Forschungsreisen führten ihn nach Schweden und in die USA. Sowohl im Auftrag der DDR als auch des SIPRI nahm er als Experte an internationalen Abrüstungsverhandlungen in Genf teil. Er war einer der führenden zivilen Fachleute für Biowaffen (militärische gab es wohl reichlich, aber sie eigneten sich nicht für das diplomatische Parkett). Für das SIPRI gab er auch mehrere Bücher über biologische Waffen und Abrüstung heraus.

Später erweiterte er sein Forschungsgebiet um die Geschichte der biologischen Waffen und veröffentlichte auch dazu. Nach dem Ende der DDR konnte er seine Arbeit im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin fortsetzen.

Der Leser erfährt vieles, was sich auf der Bühne und hinter den Kulissen des Wissenschaftsbetriebes und der Politik abgespielt hat. Dazu gehört, wie die mit Biowaffen verbundenen Risiken und Gefahren seit den Zeiten des Kalten Krieges auch als Mittel der psychologischen Kriegführung ausgenutzt wurden. So galten Kartoffelkäfer einmal als Biowaffen des USA-Imperialismus gegen die Ernährung der DDR-Bevölkerung. Angeblich wurden die »Amikäfer« nachts aus Flugzeugen auf die DDR abgeworfen. Tatsächlich war es ein natürlicher Ausbreitungsvorgang der Käferspezies.

Jüngeren Datums ist die Geschichte von dem angeblich durch Genmanipulation bei der US-amerikanischen Biowaffenentwicklung entstandenen Aids-Virus. Diese falsche Darstellung, die von den Fachleuten in Ost und West zurückgewiesen wurde, war in die Öffentichkeit geraten durch ein Interview, das der Schriftsteller Stefan Heym mit dem DDR-Biologen Jacob Segal geführt hatte und das in der »taz« abgedruckt wurde. Geißler vermutet den KGB im Hintergrund – ein Ablenkungsmanöver von der vertragsbrüchigen sowjetischen Biowaffen-Aufrüstung, die durch eine Milzbrand-Epidemie in Swerdlowsk, Folge einer technische Panne in einer Biowaffenfabrik, ans Licht kam. Jüngstes Beispiel solcher Meinungsmanipulation waren Saddam Husseins angebliche biologische Massenvernichtungswaffen als ein Vorwand für den Krieg der USA gegen Irak.

Übrigens wird in dem Buch auch das Gerücht dementiert, Erhard Geißler sei ein Bruder des CDU-Politikers Heiner Geißler. Der hat nämlich gar keinen Bruder.

Erhard Geißler: Drosophila und die Versuchung. Ein Genetiker der DDR gegen Krebs und Biowaffen. BWV – Berliner Wissenschaftsverlag. 379 S., geb., 38 €.

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