Brüsseler Beamte schauen in die Haushaltsbücher

EU-Parlament beschloss Kontrollverfahren / Linke sieht Wirtschaftsregierung als Ausweg aus der Krise

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die EU-Kommission wird künftig stärker als bisher in die Haushaltspolitik derjenigen Mitgliedsstaaten hineinwirken können, die bei sich den Euro eingeführt haben. Die Europaabgeordneten nahmen gestern einen entsprechenden Gesetzesvorschlag in Straßburg mit der Mehrheit von 354 zu 269 Stimmen bei 34 Enthaltungen an.

Offiziell erklärtes Ziel der Maßnahmen ist es, mehr wirtschaftliche Stabilität in der Eurozone zu erhalten und negative Entwicklungen in einzelnen Euro-Ländern frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.

Die bislang geltende und von den Euro-Ländern oft gebrochene Regelung, dass das jährliche Haushaltsdefizit drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht übersteigen darf, wird durch weitere Bestimmungen und Kontrollmöglichkeiten ergänzt. Mitarbeitern der EU-Kommission muss auf Antrag tieferer Einblick in die nationalen Haushalte gewährt werden. Neben der jährlichen Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung kann die makroökonomische Lage der Euro-Länder überprüft werden. Kontrolliert werden dürfen auch jene Staaten, die mit einem Handelsüberschuss eigentlich »nicht problematisch« sein sollten. Für die Überprüfung muss allerdings der Verdacht vorliegen, dass sie für eine Instabilität der Euro-Zone verantwortlich sein könnten.

Stellen die Kommissionsmitarbeiter Reformbedarf fest, so wird das entsprechende Land verwarnt und erhält »Empfehlungen«, wie die wirtschaftliche Unausgeglichenheit behoben werden kann. Setzt das Land die Empfehlungen oder andere wirksame Maßnahmen nicht um, so muss es eine zinspflichtige Einlage von 0,1 Prozent des BIP als Strafe bei der EU hinterlegen. Kommissionsmitarbeitern wird es gesetzlich erlaubt sein, die Reformbemühungen in einem verwarnten Land zu überwachen. Eine solche Verwarnung kann jedoch vom EU-Gremium der Mitgliedsstaaten, dem EU-Rat, durch eine Mehrheitsentscheidung innerhalb von zehn Tagen blockiert werden. Die Euro-Länder, die sich für die Blockade stark gemacht haben, müssen sich für diesen Schritt vor dem EU-Parlament rechtfertigen.

Als weitere wichtige Neuerung ist eine Strafe von 0,2 Prozent des BIP für die Staaten möglich, die Statistiken in Bezug auf Daten über Defizite und Schulden verfälschen.

Linke, Grüne und Sozialdemokraten stimmten mehrheitlich gegen die neuen Regeln. »Die Vorschläge sind weder ausgewogen noch in sich schlüssig«, sagte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. »Es fehlen Anreize für eine kluge Haushaltskonsolidierung, gezielte Investitionen und eine umfassende Modernisierung der Wirtschaft«, fügte er hinzu. Auch für den EU-Parlamentarier der LINKEN Jürgen Klute gehen die Beschlüsse in die falsche Richtung. »Die Eurokrise zeigt, dass die EU eine Wirtschaftsregierung braucht«, sagte er in Straßburg.

Zuvor hatte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso seine Forderung nach Einführung von Euro-Bonds bekräftigt. Voraussetzung für solche gemeinsamen Staatsanleihen aller 17 Euro-Länder sei allerdings, dass die EU die notwendigen Instrumente für wirtschaftliche Integration und Haushaltsdisziplin schafft, betonte er am Mittwoch in Straßburg. Die Euro-Bonds müssten »Stabilitätsanleihen« sein. Vor allem Deutschland lehnt bisher die Einführung von Euro-Bonds strikt ab. Großbritannien wehrt sich vehement gegen eine Finanztransaktionssteuer.

Einen Ausschluss des hoch verschuldeten Griechenlands aus der Gemeinschaftswährung schloss Barroso aus. »Griechenland wird in der Euro-Zone bleiben«, versicherte der Portugiese, der vor dem Parlament zum zweiten Mal eine »Rede zur Lage der Union« hielt. Allerdings müsse das Land fristgemäß seinen Verpflichtungen nachkommen. Im Gegenzug seien die anderen EU-Staaten »entschlossen«, Griechenland zu unterstützen. Barroso warnte jedoch vor überzogenen Hoffnungen auf eine rasche Lösung der Schuldenkrise. Dies sei »kein Sprint, sondern ein Marathon«.

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