Monarchen erziehen

Rainer Simons »Wie heiratet man einen König« wieder im Kino

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Gunst des Königs ist unendlich, bedenket ihrer Grenzen.« Das ist der paradoxe Kern des Märchens. Darin liegt auch seine Gegenwärtigkeit. Der Mensch ist gut, abgesehen davon, dass er böse ist.

Rainer Simon war bei der DEFA der Regisseur für solch märchenhafte Weltverdopplungen - von »Till Eulenspiegel« (Szenarium Christa und Gerhard Wolf), »Zünd an, es kommt die Feuerwehr«, »Jadup und Boel« (mit Kurt Böwe, bis 1989 verboten), » Das Luftschiff« und »Die Besteigung des Chimborazo« bis zu »Der Fall Ö.«, 1991, nach Franz Fühmann. Da liegt die Exotik immer ganz nah, tief in uns - und doch inmitten von Schönheit als etwas Feindliches, Lebensbedrohliches. Und Simon geht schreibend und filmend heute immer noch auf Expedition - dreht dokumentarische Filme und schreibt Bücher, so über die Indianer der Anden. In seinem Roman »Regenbogenboa« erzählt er vom Leben eines Deutschen, der die letzten dreißig Jahre seines Lebens in den Urwald geht - fernab jener Zivilisation, an die er nicht mehr glaubt.

»Wie heiratet man einen König« entstand 1969 nach dem Märchen der Brüder Grimm »Die kluge Bauerstochter«. Der junge Regisseur lässt darin Cox Habbema auf Eberhard Esche treffen. Die antiautoritär-freche Schönheit aus Holland duelliert sich mit ostdeutscher Schauspieleraristokratie (woraus dann privat eine Zeitlang kein Film, sondern eine Ehe wurde). Es ist die Geschichte der Widerspenstigen Zähmung, nur diesmal andersherum: mittels weiblicher List und nicht nachlassender geduldiger Liebe. Die Erziehung eines Königs zum vollgültigen Menschen!

Eberhard Esche, damals bereits ein Großschauspieler des Deutschen Theaters (Lanzelot in Bessons »Der Drache«) wehrt sich mit allem, was ihm zu Verfügung steht: hochfahrender Arroganz, säuselnder Ironie, unverstellter Grausamkeit, unrettbarer Ignoranz, ans Geniale grenzender Präzision des wegwerfenden Ausdrucks in jeder Geste. Ein wahrhaft liebenswertes Scheusal. Ein ewiges Kind, das immer nur spielen will - und dabei schon mal sein Spielzeug zerbricht. Nicht aus vorsätzlicher Bosheit, sondern bloß aus Gedankenlosigkeit. Der Dandy auf dem Thron hat ganz vergessen, dass seine Handlungen auch Folgen haben.

Wer will, kann das als wohlmeinende Persiflage auf ein Staatswesen verstehen, in dem auf dem Schachbrett des Lebens Könige und Bauern längst nicht mehr dieselbe Partie spielten. Esches Spiel: die ewige Paarung aus Müdigkeit und Belehrung, aus Neugierde und Überdruss, aus altklug und weise. Der hochfahrende Absturz in jeder Geste und dem Singsang seiner Stimme - hinab in die Erkenntnis, dass auch Würdenträger mitunter bloß Menschen sind. Und manchmal ist das dann das Beste an ihnen. Esche eröffnet Zwischenräume an Bedeutungen, in denen sich Traum und Albtraum begegnen. Ein Märchenkönig eben, wie von den Grimms erfunden: der überaus charmante Menschenfresser von nebenan.

Was beim Wiederansehen von »Wie heiratet man einen König« verblüfft: der Mut des Regisseurs, einen avantgardistischen Märchenfilm zu drehen. Was für Szenen, was für Schnitte! Alles daran wirkt heute so frisch wie vor nunmehr über vierzig Jahren. Die Herrschenden brauchen eben immer jemanden, der sie auf den harten Boden des Alltags zurückbringt. Nicht mit Gewalt, sondern mittels kluger Verführung einer Cox Habbema, die mit selbstverständlich genommener Freiheit die ausgeklügelten Überlebensstrategien von gelernten Untertanen sabotiert. Denn die Rätsel, die die Macht aufgibt, sind alle nichts als fauler Zauber - also mit gesundem Menschenverstand und etwas Selbstbewusstsein durchaus lösbar. So ist es in dieser hochvirtuos gespielten Parabel zu besichtigen. Es macht unerhörten Spaß, einer Käthe Reichel als naiv-wissender Magd, einem Peter Dommisch als ewig unglücklich behelmten Soldaten oder einem in sich verdrehten Gerd E. Schäfer zuzusehen, ebenso Jürgen Holtz oder Dieter Mann, die sämtlich nicht viel Raum und Zeit brauchen, um auf den Punkt des Spiels zu kommen.

Wie heiratet man nun einen König? In ein Fischernetz gehüllt wie das kluge Bauernmädchen, um seine Launen zu beschämen und den ehrlichen Vater zu befreien, den selbiger König wegen angeblichen Diebstahls in den Kerker warf? Besser man lässt sich gar nicht erst in der Nähe der paranoiden Macht und ihrer vermeintlichen Inhaber blicken - von heiraten ganz zu schweigen.

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