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Diktatorischer Zeitgeist

Deutsch-deutsche Kontakte vor dem Mauerfall

  • Jürgen Hofmann
  • Lesedauer: 2 Min.

In der Masse der »Mauerliteratur« bildet dieses Büchlein eine Ausnahme. Hier geht es nicht um Fluchthelfer, Tunnelbauten oder um Rechtfertigung der großen Politik. Hier werden Initiativen vorgestellt, die vor dem Mauerfall Brücken über die Systemgrenze schlugen. Dabei zeigt sich, für die Rekonstruktion deutscher Zeitgeschichte ist nicht nur relevant, was sich in den Akten des MfS findet, wie Dieter Winkler kritisch anmerkt.

Zu den Passagen, die am stärksten beeindrucken, gehört der von Jürgen Nagel vorgelegte Briefwechsel mit Fred Prase aus Frankfurt am Main, der Politik und Alltag in beiden deutschen Staaten über einen Zeitraum von drei Jahren reflektiert. Hier tauschen sich zwei Personen aus, die sich nicht kritiklos anpassen wollten und dadurch von der jeweiligen Gesellschaft, in der sie leben, in die Rolle von Außenseitern gedrängt wurden. »Der Zeitgeist ist mindestens so ein uneingeschränkter diktatorischer Machthaber wie Ihr ZK der SED«, klagt der westdeutsche Fotograf dem ostdeutschen Fotografen. Schade, man hätte über den biografischen Hintergrund der beiden gern mehr erfahren.

Ein Großteil der Beiträge ist kirchlichen Kontakten gewidmet. Aber auch der Transfer der Bonsdorfer Mühle ins Technikmuseum nach Berlin-Kreuzberg, der rege Austausch unter Zinnfigurensammlern in Ost und West wie auch die frühen Bemühungen um den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche, in die auch Hans Modrow einbezogen war, bieten interessante Details und Einsichten, die man andernorts nicht findet.

Winkler beklagt in seinem Nachwort, dass sich die akademische Zunft vorwiegend der »schriftlichen Hinterlassenschaften der Macht« bedient und an einer systematischen Erschließung der Zeugnisse und Erinnerungen aus dem Volk, das doch eigentlich erst die Wende herbeigeführt hat, wenig interessiert ist. Sein Appell: Die Ostdeutschen sollten von den Historikern »ein völlig vorurteilsfreies Herangehen« an die DDR-Geschichte einfordern, eine präzise und umfassendere Erforschung, wie nicht nur unter, sondern wie trotz der »Diktatur« gelebt und gearbeitet wurde.

Hans Joachim Rieseberg/Dieter Winkler (Hg.): Brücken über die Mauer. Deutsch-deutsche Kontakte, Initiativen und Projekte von unten vor 1989. Schibri-Verlag, Strasburg. 199 S., br., 14 €

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