Eine bessere Bahn ist möglich

Die Bahn-Geno will einen Strategiewechsel im Eisenbahnverkehr herbeiführen

Proteste gegen den Börsenkurs der Deutschen Bahn waren bislang nur wenig erfolgreich: Stuttgart 21 wird gebaut, weitere Prestigeobjekte stehen auf der Agenda, und der Ruf nach mehr Mitbestimmung im Konzern verhallte ergebnislos. Mit einer Genossenschaft wollen Aktivisten nun eine Bürgerbahn ins Rollen bringen - getreu dem Motto: Eine bessere Bahn ist möglich. Bei diesem Vorhaben stellen die Genossen sich auf eine Konfrontation mit dem Staatskonzern ein: »Die Bahn ist ja keine Biersorte, da kannst du immer auf eine andere Marke ausweichen«, sagt Richard Schmid. Im Schienenverkehr besitzt die Deutsche Bahn ein Monopol - das will die Genossenschaft anfechten.
Richard Schmid kommt aus der Graswurzelbewegung und setzt sich für demokratische Unternehmen ein, in der alle Führungsgremien gewählt werden. Deutsche Genossenschaften findet er oftmals abschreckend, weil sie nur nach innen solidarisch, nach außen hin aber kapitalistisch aufträten. »Ein Vorstandsvorsitzender hat häufig soviel Macht wie ein Konzernchef«, kritisiert er.
Richard Schmid kommt aus der Graswurzelbewegung und setzt sich für demokratische Unternehmen ein, in der alle Führungsgremien gewählt werden. Deutsche Genossenschaften findet er oftmals abschreckend, weil sie nur nach innen solidarisch, nach außen hin aber kapitalistisch aufträten. »Ein Vorstandsvorsitzender hat häufig soviel Macht wie ein Konzernchef«, kritisiert er.

Es klingt größenwahnsinnig: Eine Bahngenossenschaft will den Personenverkehr der Bahn übernehmen. Was auf den ersten Blick utopisch und naiv aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als höchst zeitgemäßes Anliegen: Das Konzept der Genossen rät dringend zur Mäßigung.

»Wer an eine Bahngenossenschaft denkt, fragt sich doch sofort, welche Nebenstrecke die übernehmen will«, erzählt Richard Schmid. Eingleisige Bummelstrecken, die sich für den Monopolisten nicht mehr rentieren, gibt die Deutsche Bahn AG häufiger ab. Doch Schmid erklärt, dass die Genossenschaft auch an den profitablen Strecken ein Interesse habe. Denn ihr Ziel lautet nicht minder: den Personenverkehr der Bahn, dem letzten große Staatsunternehmen in Deutschland, zu übernehmen - ein Koloss, mit einem Wert von etwa 150 Milliarden Euro, dessen Börsengang bislang nur auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Die Finanzkrise sei dem Unternehmen dazwischengekommen, sagte der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn. Eine solche Privatisierung will Schmid mit einer Bahngenossenschaft unterbinden. Das hört sich erst einmal übergeschnappt an.

Eine Idee beginnt, Kreise zu ziehen

Obwohl Kritik an der Bahn ungefähr so populär ist, wie über die Bundespolitik zu schimpfen. Wer mit der Bahn fährt, findet immer einen Grund, sich aufzuregen: Die Waggons sind verdreckt, oder die Lüftungen kaputt; Züge kommen zu spät, Anschlusszüge sind schon abgefahren, und die letzte Verbindung aufs Land fährt um halb sechs am Abend. Die Bahngenossenschaft, kurz: Bahn-Geno, will über diese tausendfach geäußerten Mängel handeln; sie hat sich vorgenommen, eine andere Bahn auf die Beine zu stellen. »Die Idee ist ganz frisch, nur wenige Monate alt«, erzählt Schmids Mitstreiter Wolf Drechsler, ein unabhängiger Verkehrsplaner aus Nürnberg. Noch befindet sich die Bahn-Geno im Gründungsprozess. Rund 40 Beteiligte bringen das Vorhaben voran. Mittels Infoveranstaltungen und Generalversammlungen versucht der Zusammenschluss weitere Interessierte zu integrieren, die das Unternehmen entwickeln. Das nächste Treffen findet am 14. Januar in Nürnberg statt, worauf eine Generalversammlung am 24. Februar in Frankfurt am Main folgt.

Die Idee beginnt, langsam Kreise zu ziehen. »Unser Vorhaben stößt in unterschiedlichen Netzwerken auf Zuspruch«, erklärt Richard Schmid. »Einerseits in Kreisen der solidarischen Ökonomie«, deren Wirtschaften sich nicht mehr am kapitalistischen Fressen oder Gefressenwerden orientiere, sondern an einer demokratischen Mitbestimmung in den Betrieben. »Andererseits sind wir natürlich bei den Eisenbahnern bekannt.« Schmid, der sich auch bei Attac engagiert, meint damit etablierte Bahnkritiker wie den Zusammenschluss »Bahn für alle« oder die Protestbewegung gegen Stuttgart 21. »Die bringen den Zorn mit«, sagt er. Den brauchen die Genossen, damit ihr Vorhaben an Dynamik gewinnt.

Denn ihr Ziel ist ambitioniert. Möglichst viele der rund 10 Millionen Bahnfahrer sollen in das Vorhaben einbezogen werden. »Wer Bahn fährt, soll sich von uns angesprochen fühlen«, sagt Sylvia Pilarsky-Grosch. Die Rechtsanwältin wurde über eine Veranstaltung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) auf die Genossenschaft aufmerksam. Über die Masse will die Genossenschaft einen Kapitalstock aufbauen. Für den Anfang erhofft die Bahn-Geno sich vor allem Zuspruch aus Baden-Württemberg. »Durch die Proteste gegen das Prestigeprojekt Stuttgart 21 seien viele für eine Bürgerbahn sensibilisiert«, hofft Pilarsky-Grosch, die Rechtsreferentin im BUND Baden-Württemberg ist - der erreichte im Dezember bei einer Klage gegen die Deutsche Bahn vor dem Verwaltungsgericht in Mannheim einen vorläufigen Baustopp für den Bahnhofsneubau in Stuttgart, was dem Konzern einen empfindlichen Nadelstich versetzte.

Schweizerische Bahnen dienen als Vorbild

An einen Börsengang der Deutschen Bahn glaubt Sylvia Pilarsky-Grosch nicht mehr. Bereits zu Zeiten der schwarz-roten Bundesregierung sei die Stimmung gekippt. Die hatte das Vorhaben noch auf der Agenda, setzte es aber nicht um. Sie kann sich noch gut an Hermann Scheer erinnern. Der im vorigen Jahr verstorbene Sozialdemokrat habe vehement gegen den Börsengang der Bahn Einspruch erhoben. Seine Internetseite existiert noch immer, darauf stehen zwei seiner Leitsätze - einer ist ein Zitat von Albert Einstein: »Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts«, sagte das Genie.

Aber selbst wenn 10 Millionen Fahrgäste sich mit 100 Euro an einer Genossenschaft beteiligen würden, so käme lediglich eine Milliarde zusammen. »Das ist kein Pappenstiel«, meint Schmid. »Damit kann man die Bahn zwar nicht übernehmen. Aber jeder achte Bundesbürger würde eine andere Bahn wollen. Das wäre ein politisches Signal«, meint der Aktivist.

Der Verkehrsplaner Wolf Drechsler behauptet nicht minder optimistisch, dass die Deutsche Bahn die Politik doch schon seit Jahren vor ein riesen Problem stelle: Sie verschlinge Millionen und Abermillionen, und alle schimpfen dennoch auf sie. Auch die jüngsten Anstrengungen der Bahn für einen besseren Winterdienst oder angekündigte Neueinstellungen können ihn nicht beeindrucken. Die Mängel im Management seien zu offensichtlich: »Die Infrastruktur ist unzulänglich und vielerorts gibt es Investitionsrückstände, die die Bahn nicht beseitigt. Stattdessen setzt sie auf unnütze Prestigeobjekt.« Kleinere Investitionen würden mehr Wirkung zeigen, gibt er zu bedenken.

Wie eine Bahn anders funktionieren kann, sieht Wolf Drechsler beim Blick in die Schweiz. »Die Schweizerische Bundesbahnen sind um Dimensionen besser aufgestellt als die Deutsche Bahn.« Die Verbindungen zwischen den Städten seien viel regelmäßiger, und das Umsteigen funktioniere problemlos wie bei einer S-Bahn. »Das alles ist keine Frage der Technik«, meint er, »sondern eher eine der Logistik«. Eine bessere Signaltechnik, mehr Lokführer, mehr Züge. Die Schweizer nehmen das Angebot an: Es gibt 2,7 Millionen regelmäßige Fahrgäste mit General- oder Halbtaxabonnement, was in Deutschland einer Bahncard 100 oder Bahncard 50 entspricht. Das ist rund ein Drittel der Bevölkerung.

Entscheidend für die Entwicklung in der Schweiz sei eine Grundsatzentscheidung gewesen, erzählt der Verkehrsplaner. Auch in der Eidgenossenschaft habe es in den 80er und 90er Jahren einen Trend hin zu Hochgeschwindigkeitstrassen gegeben. Doch die Alpen-Transversale, ein gigantisches Nord-Süd-Transitprojekt, habe »beim Souverän« keine Mehrheit gefunden, erzählt Wolf Drechsler. In einer Volksabstimmung lehnten die Schweizer das Vorhaben ab und stimmten lediglich einem Kompromiss zu. Statt vier neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken wird nur eine verwirklicht.

Prestigeobjekte sind in der Schweiz seitdem nicht mehrheitsfähig, wodurch die Schweizerische Bundesbahnen (SBB) einen Paradigmenwechsel einleitete. Das bestehende Streckennetz wurde optimiert. Für Wolf Drechsler ein entscheidender Schritt. Die SBB passte sich an die Bedürfnisse der Schweizer an. »Die unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen in Deutschland. Die meisten Wege, die hierzulande zurückgelegt werden, sind kürzere im lokalen oder regionalen Raum«, erklärt er. »Diesem Anspruch muss eine Bahn nachkommen.«

Folglich will auch die Bahn-Geno in Deutschland ihren Schwerpunkt bei den Kommunen legen. Hier sind auch erste Referenzprojekte angedacht, um das Unternehmen auf den Markt zu bringen. Ihre Strategie sieht regionale Genossenschaften vor, die in einem Dachverband gebündelt werden. Ihr Grundsatz beruht im Gegensatz zur Deutschen Bahn auf einer demokratischen Mitbestimmung. Aufsichtsrat und Vorstand sollen gewählt werden. Oberstes Ziel ist für Wolf Drechsler die Zufriedenheit der Fahrgäste und keine Renditen für die Aktionäre.

Prestigeobjekte nicht mehrheitsfähig

Damit wird das auf den ersten Blick utopische Vorhaben der Bahnaktivisten bodenständiger. Denn mit der Bahn-Geno fordern sie lediglich ein Umdenken. Und das ist ein bescheidenes Ziel. Eine Bahn solle für die Fahrgäste benutzerfreundlich sein und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Wie in der Schweiz soll sie von teuren Prestigeobjekten ablassen und stattdessen die vorhandene Infrastruktur besser nutzen. Das ist alles andere als größenwahnsinnig, sondern eine überaus bescheidene Forderung.

Die Idee ist nicht einmal neu und fußt auf dem Protest der letzten Jahre, die immer und immer wieder eine Bahn für die Bürger forderte. Die Genossen setzten ihren Einspruch lediglich auf eine andere Ebene: weg von der Straße - hin zur Wirtschaft. Denn der außerparlamentarische Protest habe bisher keinen entscheidenden Einfluss auf die Politik nehmen können, resümiert Wolf Drechsler. Umso mehr verspricht er sich das nun auf dem unternehmerischen Weg mittels einer Bahn-Geno: »Wenn sich dann durch die Hintertür in der Politik wiederum was reißen ließe, umso besser.«

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